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Kurzer Abriss meines Lebens in der mongolischen Steppe

Kurzer Abriss meines Lebens in der mongolischen Steppe

Titel: Kurzer Abriss meines Lebens in der mongolischen Steppe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Hulova
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gesehen habe ich sie nie.
    Ich erzählte Anra von den Kindern. Von denen, die ich nicht mochte, weil sie nie etwas wussten, von denen, denen alles egal war, weil sie sich ohnehin bei niemandem ihrer guten Noten rühmen konnten, und von meinen Lieblingsschülern. Die waren sauber gekleidet, hatten die Bleistifte gespitzt, redeten nicht ohne Erlaubnis, und ihre Mütter und Väter kamen, wenn ich es ihnen ausrichten ließ.
    Anra erzählte von ihrer Mutter, einer hässlichen Mongolin mit einer riesigen Höckernase und unvorstellbar großen Ohren. Ich hatte mich von klein auf vor ihr gefürchtet, alle kannten sie. So stellte ich mir immer Uuregma vor. Wie Frau Ulantsetseg. Anras Vater hatte wohl nicht richtig hingesehen. Er hatte sich auch bald aus dem Staub gemacht, und ein zweites derartiges Glück wollte Frau Ulantsetseg nicht mehr begegnen. Anra hatte immer alles nur für sich allein gehabt, und wären nicht die Spötteleien gewesen, hätte sie eine zufriedene Kindheit gehabt. Sie bekam ein verträumtes Gesicht, als würde sie sich der längst vergangenen Zeiten ihrer Kindheit mit der hässlichen Mama entsinnen, und erst dann spuckte sie aus, was sie mir eigentlich sagen wollte.

    Schon seit ein paar Monaten besuchte sie von Zeit zu Zeit ein Mann. Er stammte nicht von hier. Sie waren einander einmal im Zentrum in einem Geschäft begegnet. Er brauchte Benzin, weil Charal von der Benzinpumpe wieder irgendwo pennte und niemand anderer einen Schlüssel hatte, und so lief sie zu sich und brachte ihm ein wenig Sprit vom Auto ihrer Mutter. Mehr war nicht. Eine Woche später klopfte er dann abends an der Tür. In der einen Hand den Kanister und in der anderen eine Einkaufstüte mit Pralinen und Wodka. Dass sie ihn mit dem Benzin gerettet hätte und dass sie darauf zusammen ein Schlückchen trinken müssten, und dann saßen sie und tranken, bis die Flasche leer war, und als ihre Mutter im Anzug war, liefen sie durch den Hintereingang hinters Haus, und dort sagte er ihr, sie sei der strahlendste Stern dieses Nachthimmels, und warf sie zu Boden.
    Es war furchtbar kalt. Anra beschrieb, wie sie mit den Zähnen klapperte und sich für diesen hohlen beinernen Ton schämte, aber es war nicht zu beherrschen. Zum Glück hatte er es, als sie aus dem Haus flohen, geschafft, ein Tuch zu schnappen, und so machten sie es darauf. Sie sagte, sie wisse nicht viel von dieser ersten Nacht, nur dass unsere Steppe seit den Zeiten der Goldenen Horde keinen stärkeren Mongolen getragen hat. Er kam dann wieder und wieder, stets mit Wodka und Pralinen, und sie machten es hinterm Haus und im Haus.
    So zog sich das ein paar Monate hin. Niemand sah sie je, nur einmal, als sie mittendrin waren und er hinter ihr stand wie ein aufgewühlter Hengst, zersplitterte mit einem Krachen die Fensterscheibe, und ein Stein flog herein.
    Sie sahen nurmehr einen flüchtenden Rücken. Irgendein schmutziges blondhaariges Mädchen, niemand von den Hiesigen,
so dass der Umstand, dass er zu kommen aufhörte, damit nicht zusammenhängen konnte.
    Anra seufzte und legte den Kopf auf meine Schulter.
    Angeblich hatte sie niemand anderem davon erzählt. Sie stieß einen Schluchzer aus und warf sich mir an den Hals.
    Wenn er mich gehalten hat, konnte ich spüren, dass das Leben herrlich ist. Die Farben strahlten wie die Knospen von Brennwurz, und die Steppe duftete wie frisch gemolkene Milch. Jetzt werde ich bis an mein Lebensende allein sein. Männer wie er werden kein zweites Mal geboren. Und ich Tolpatsch konnte ihn nicht halten. Sie hob den Kopf, als würde sie mich etwas fragen. Hier war guter Rat teuer. Sie hatte ihn Bernsteinkrieger genannt. Als ich sie nach seinem richtigen Namen fragte, war sie verblüfft. Sie hatte ihn nie danach gefragt.

    Das mit Nara ist nicht mehr zu ändern, und Anra ist auch nicht aus der Welt verschwunden. Wenn ich aber schon von Männern spreche und wie jene sich mit ihnen verstrickten, die ich liebte und immer noch liebe, will ich noch eine andere Sache erzählen.
    Es war ein wenig später.
    Drei weitere Winter waren verstrichen und drei sonnige Frühlinge, in denen Mama immer kränker wurde, wieder die Gallenblase, in denen sich unsere Herden wieder um eine Spur vergrößerten und die Kaschmirpreise außergewöhnlich anstiegen, so dass Papa unser altes Auto durch ein neues ersetzte. Ulantsetseg gabelte sich in dieser Zeit erstaunlicherweise einen anderen Mann auf, und so waren Anra und ich meist bei mir. Bei ihnen hatte sich Lia-Po einquartiert

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