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Kurzer Abriss meines Lebens in der mongolischen Steppe

Kurzer Abriss meines Lebens in der mongolischen Steppe

Titel: Kurzer Abriss meines Lebens in der mongolischen Steppe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Hulova
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pflegten, mit Ausnahme von trockenen Nudeln und Reis. Papa konnte das nicht mehr ertragen, und so starteten wir eines Tages unseren Jeep, polsterten das Heck mit Decken aus, damit Mama gut liegen konnte, und holten sie aus dem Spital.
    Die Ärztin sagte nur, sollte Mama das nicht überstehen, ihre Schuld wäre es nicht.
    Sie knallte Papa einen Beutel mit Pillen in die Hand, und ich stützte Mama, als sie zu Fuß die Treppe hinunter musste.
    Ojuna hatte genug eigene Sorgen, Nara fuhr wieder in die Stadt zurück, und so hatte ich Mama am Hals. Essen konnte sie allein, nicht wie Großmutter, aber ansonsten war es gleich. Die gleiche Unlust sich zu bewegen, das ewige Schlafen und die ätzenden Bemerkungen. Papa kam zeitig heim und stürzte zu Mamas Bett, aber der Tod schnüffelte nur herum und musste noch etliche lange Jahre auf Mama warten.
    Ojunas Baby war es schließlich, das sie da herausholte.
    Es war ein Junge, alle gratulierten Najma und auch Ojuna, dass sie nicht Mamas Pech geerbt hätte.
    Mama gab das Baby neuen Elan, sie stürzte sich in ihre Großmutterpflichten und nahm das ganze Ger samt Baby in Beschlag, und ich begann mir zum ersten Mal in meiner
Familie überflüssig vorzukommen. Jeder außer mir war irgendwie wichtig. Nur ich war für alles und für nichts da und hatte genug Jahre auf dem Buckel, dass man sich über mich als unverheiratete Frau das Maul zu zerreißen begann.

    Ich wusste, mir blieb nichts anderes übrig, als es ein zweites Mal zu versuchen. Es zu versuchen und zu glauben, es würde gelingen.
    Als gerade niemand im Ger war, zündete ich zwei Kerzen an, nahm unseren kühlen steinernen Burchan in die Hand und wünschte mir leise Glück.
    Auf den Tisch schrieb ich eine kurze Nachricht und steckte mir ein paar Chuuschuur in einen Sack.
    Ich ritt ins Somonzentrum.
    Von dort fährt früher oder später immer wer in die Stadt. Ich wollte niemandem etwas erklären müssen. Ich war vierundzwanzig.
    Dem Direktor steckte ich einen Brief in die Tür, er solle sich jemand anderen suchen. Der Kinder wegen wird kein altes Weib aus mir. In unserem Somon kannte ich alle schon.
    Und so tauchten zum zweiten Mal in meinem Leben die zwei majestätischen Türme des Kraftwerks von Ulan Bator aus dem Nebel vor mir auf, und schon eine Stunde vor der Stadt roch ich ihren berauschenden Geruch von Rauch, der in den Öfen Tausender Ger und in den Heizhäusern Hunderter stolzer sowjetischer Plattenbauten entsteht. In diesem riesigen grauen Staubkessel stieg ich aus und ging dahin, wo immer der Markt war.
    Meine Beine trugen mich wie von selbst. Und der Kopf überlegte nicht. Er war voll von Metall- und Lederklängen, Marktgeräuschen, erzeugt von Männern, die neue Sättel und
Riemen ausprobierten, während kleine Buben mit einem Stück Holz in der Hand das Wellblech des kleinen Platzes umrundeten, durch welches das asphaltierte Viereck mit den Ständen von der Stadt abgeteilt wird, weil, wer auf den Markt will, der warm angezogenen Frau am Eingang für eine rosa Eintrittskarte eine Kleinigkeit zu geben hat.
    Ich musste ein Stück quer durch das Stadtrandgebiet. Hoch aufragende Traversen und Betontrümmer mit rostigen, verbogenen Stahlstücken durchschnitten wie gefletschte Wolfszähne den Nebel. Ich kletterte über Rohre, in denen Leute dösten. Es war noch früh am Morgen. Erka und Purew begannen um diese Zeit immer Möhren und Kraut für den Bajtsaa-Salat zu schneiden. Wäre ich damals zu ihnen gegangen, in ihre kleine warme behagliche Imbissbude zurückgekehrt, säße ich jetzt ziemlich sicher nicht so da. Vermutlich würde ich irgendwo anders sitzen. Mit jemand anderem.

    Menschen, die aus Russland kommen, gefällt die Stadt nicht. Sie sagen, eine Stadt, in der in manchen Jahren kein einziger Baum grünt und in der es keine einzige Straße ohne Risse und heimtückische Schlaglöcher gibt, sei keine Stadt. Ich hatte im Guanz mal mit einem Russen gesprochen, und der meinte, etwas wie unsere Stadt habe er noch nie gesehen, und dabei ist er angeblich sogar in Europa gewesen, und Russland kennt er wie bei uns die alten Männer ihren Aimak. Er warf mir für die Suppe zusätzlich dreihundert Tugrik hin, zog mich auf seinen Schoß und sagte, er würde mich, wenn ich wolle, von hier wegbringen. Aber ich musste zurück in die Küche, und als ich mit dem Milchtee kam, war er schon fort. Ich erzählte damals Erka davon. Sie lachte nur. Er sagte, er wäre aus Petrograd. Ich war damals zum ersten Mal in der Stadt

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