Kurzer Abriss meines Lebens in der mongolischen Steppe
möglich war, und es war fast überall möglich. Das alles entdeckte ich nach und nach. Nach und nach kam ich auf immer neue Dinge. Vielleicht
begann ich ein bisschen zu verstehen, was Nara gesagt hatte, vielleicht auch nicht, in Erkas Guanz jedoch hat mich keiner mehr je gesehen. Ich konnte nichts tun, von dem Nara meinte, es sei dumm, zusammen mit jemandem, von dem Nara sprach wie von Purew. Das ging nicht. Aber etwas zu tun, was ich für schmutzig hielt, dessen war ich fähig.
Nach ein paar Monaten schlenderte ich in Richtung der verlockenden Neonlichter. Zum Diwaadschin. Es war Vormittag, die Tür war geschlossen und vor Naras Fenster oben der Vorhang zugezogen. Ich klopfte. Von weitem wurden langsam schlurfende Schritte lauter. Sie hatte überpuderte fremde Gesichtszüge. Aus dem Spalt der geöffneten Tür guckte mir das mir wohlbekannte und dennoch fremde Gesicht meiner Tante Schartsetseg entgegen.
Ich hatte die ganze Zeit geahnt, dass sie etwas Anrüchiges machte. Ich hatte mich die ganze Zeit gewundert, woher Mergen für seine täglichen Wodkagelage das Geld nahm und warum mich Gelbe Blume nie zu sich in das Fleischkombinat mitnahm, in dem sie laut Purew arbeitete. Aber mein Staunen währte nicht lange. Es war keine Zeit. Am nächsten Tag, kaum dass ich mich ausgeschlafen hatte, nahm sie mich zur Arbeit mit.
Sie zeigte mir alles. Das ganze Haus, alle Mädchen, die Frauen unten am Ausschank und das Zimmer, das sie mir zuteilte. Finster, nach Männern stinkend. Ein Bett mit zerschlissenem Laken, ein Lämpchen mit gelbem und rotem Schirm.
Nicht schreien, lieb sein und das Geld immer im Voraus. Das waren Schartsetsegs Prinzipien.
Andere hatte sie nicht.
Das kapierte ich bald, gleich nach den ersten paar Tagen. Es
war meine vierte Schicht. Ich war schon ganz erschöpft und wund. Nara sagte, es dauere einige Tage, ehe sich eine Frau daran gewöhnt. Am Anfang ist es schmerzhaft, dann ekelhaft und nach ein paar Wochen lernt eine Frau, an zwei Orten zugleich zu sein. Sie ist dort und auch nicht dort. Nara sagte, sie würde sich oft Anras Pferd ausleihen und mit ihm auf ihren Lieblingshügeln herumtollen. Auch Chutschtej würde sie besuchen, das wortkarge, stille Waisenkind, das sie in jenem letzten Sommer bei sich im Ger hatte, bevor der Direktor damit Schluss machte, und wenn es länger dauere, stelle sie sich einen nach dem anderen aus unserm Ger vor und malte sich aus, wie es ihnen wohl ginge.
Ich glaube, dass sich auch Dschargal in Naras Familienbilder mischt. Ich achte Tante Chiroko, doch ist Nara für immer etwas in den Augen geblieben. Etwas von den verwelkten Hochzeitsblumen, die sie in die Gerstreben flocht.
Als Letzter an diesem vierten Tag kam ein kleiner ausgemergelter Kerl. Er hatte keine speziellen Wünsche, und so lauschte ich, wie die Stadt hinter der Fensterscheibe erwachte, die Autos immer dichter eins nach dem andern dahinsummten und die Schreie verschlafener Budenverkäufer durch die Straße hallten.
Der Kerl erledigte seine Sache auf mir, erhob sich hastig und stand auch schon in der Tür. Warte, warte, sage ich. Als hätte ihn ein Messer durchbohrt, wirft er sich auf die Klinke, und die Tür kracht zu wie ein herabstürzender Felsblock. Ich eile ihm nach und laufe schon die Treppe hinunter, als ich sehe, wie ihn Gelbe Blume am Rockzipfel festhält und er sich windet und jammert. Schließlich entschlüpfte er ihr doch. Schartsetseg griff ins Leere. Draußen gaben ihm Dordschoj und Batmunch, unsere zwei Burschen, die für solche Schlaumeier
zuständig waren, eine Abreibung. Noch am nächsten Tag waren vor dem Eingang die roten Tropfen zu sehen, wie das Blut aus ihm rann, als er das Weite suchte.
Schartsetseg las mir dann ordentlich die Leviten.
Es wartete niemand mehr auf mich, also nahm sie mich mit in ihr Zimmerchen unter der Treppe und hielt mir eine Predigt. Abschließend wiederholte sie neuerlich ihre drei Prinzipien und drängte mich schon zur Tür hinaus, ich solle mich waschen und schlafen gehen. Sie wischte mir mit einer schnellen Bewegung den verschmierten Lippenstift ab und wartete, dass ich verschwand. Ich jedoch ging nicht.
Ich stand einfach da und konnte mich nicht von der Stelle rühren. Meine Beine waren festgefroren wie die Hufe schwacher Pferde bei Frost, und ich starrte Schartsetseg an, wie Landkinder glotzen, wenn ins elterliche Ger Besuch kommt. Gelbe Blume. Meine Tante, die uns Buuz gekocht hatte, als Magi gestorben war und Papa sich mit der Wodkaflasche
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