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Kurzer Abriss meines Lebens in der mongolischen Steppe

Kurzer Abriss meines Lebens in der mongolischen Steppe

Titel: Kurzer Abriss meines Lebens in der mongolischen Steppe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Hulova
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Geschwistern erbten.
    Mutter ging jahrelang nachts weg.
    Das gedämpfte Zuschnappen der Tür, mit dem für mich die Nacht begann, kannte ich.
    Mama tastete im dunklen Vorzimmer nach den Schuhen, ich sank langsam in den Schlaf, und dieses Klappen war Mamas letzter Abschiedsgruß.
    Blieb Mama manchmal über Nacht daheim, konnte ich nicht einschlafen. Mama lachte dann, sie ginge lieber, damit ich endlich wegtauchte, und ich schickte sie lachend fort.
    Da war ich schon größer.
    Vergessen habe ich es ihr aber trotzdem nie. Ich lernte nicht, alleine zu sein.
    Manchmal erzählte mir Mama von ihren Schwestern, als
sie alle Kinder waren. Sie sagte, ich hätte keinen Begriff, was es hieße, einen kleinen Fratz am Hals zu haben. Dass ich nicht wüsste, wie Windeln stinken, wie fortwährendes Kindergeplapper einem mit Tausenden Hämmern in den Schläfen pocht und wie unendlich weit es von der Tür zum Fenster wäre, wenn ein dummes Kleinkind auf dem Fensterbrett spielt. Bogi schleppte ständig ihren jüngeren Bruder mit. Wir waren Freundinnen, und daher wusste ich, wie es war, wenn ein Kind ständig mit der Hand wohin greift und nicht weiß, dass ein Topf mit heißem Wasser den Tod bedeutet. Das merkte sich Bogis Bruder erst, als er einen zu sich herunterzog und fast starb. Wir hatten ihn in der Küche eingeschlossen, weil er keine Ruhe gab, und Bogis Mama sagte mir später, ich solle sie nicht mehr besuchen, weil Bogi dann auf den kleinen Dargal nicht achtgibt. Das stimmte, ich wollte aber trotzdem Geschwister haben. Eigene. Die nur mir und Mama gehörten. Und erst Mamas Antwort, für ein Baby wären zwei nötig, war es, die mich auf die Idee brachte, danach zu forschen, wie sich das eigentlich mit mir verhielt.
    Was Frauen mit Männern nachts machen, hatte ich bei Inche erfahren. Ich schlief bei ihr, wenn Mama etwas zu erledigen hatte oder irgendwohin fuhr.
    Einmal weckte mich Inche in der Nacht, zog einen alten Topf unter dem Bett hervor, und wir lauschten. Ich sah nichts, aber Inche zeigte mir zu diesen Geräuschen irgendwelche Abbildungen, die ihr älterer Bruder unter dem Bett hatte, und es war klar. Unvorstellbar und scheußlich, aber den Bildern nach klar.
    Ich kannte das halbwegs schon von früher vom Land, so eindeutig war es für mich aber nicht gewesen.
    Dieses nächtliche Deckenruckeln auf den Betten der Erwachsenen
verschmolz für mich mit vielen weiteren seltsamen und abstoßenden Dingen, von denen es auf dem Land mehr als genug gab.
    Tatsache ist, dass ich eigentlich ziemlich lange keine Ahnung hatte, dass jemand anderer außer Mama und Nara zu unserer Familie gehörte.

    Der Baschkgansker Somon, diese am Staub erstickende Misere, entfaltete sich wie ein von Zigarettenkippen versengtes löchriges Tischtuch erst kurz vor meinem siebten Geburtstag vor mir.
    Oma Alta, Großvater Tuuleg, außerdem Tante Ojuna, Onkel Najma und ihre drei Kinder. Winzige und immer kleiner werdende schemenhafte Gestalten, denen ich als Kind vom Jeep aus zulächelte, wenn ich von ihnen nach den Ferien in die Hauptstadt zurückkehrte. In der Stadt kann der Häuser wegen niemand so schrecklich klein, fern und trotzdem sichtbar sein, wie es die Leute auf dem Land sein können.
    Sie hätten meine neuen Verwandten werden sollen. Irgendwie ging das aber nicht.
    Dieses Gefühl hatte ich immer, wenn ich von Ojunas Ger in die Stadt abreiste und sie brav vor dem Ger standen, bis unser Jeep hinter den nächsten Wüstenbuckel geschwommen war. Sie wuchsen mir nie ans Herz.
    Wenigstens nicht so, wie sich Mama das vorstellte.
    Großvater sagte, er hätte mich einmal als Baby gesehen. Das war überhaupt das Erste, womit er gleich rausrückte. Er wirkte nicht sehr überrascht, als ich in das Ger schlüpfte, weil Mutter mir vorher einen Schubs gegeben und gesagt hatte, ich solle als Erste gehen.
    Sie fragte mich nachher, was Großvater mir alles erzählt
hatte, und als ich zurückschnappte, dies und das, und wütend war, weil wir nicht früher hergefahren wären, wenn alle wussten, dass ich existierte, begann sie unsere Sachen auszupacken, und Vetter Batdschar und die Cousinen Tsetsegma und Zula kamen gelaufen und wollten mir einen toten Schneeleoparden zeigen.
    Später musste ich nicht mehr fragen, es begann mir von selbst klar zu werden. Ich kam darauf, dass eine Menge Dinge in unserer Familie nicht stimmten und dass ich und meine Mutter dazu zählten.
    Batdschar, der zwei Jahre älter war als ich, sagte, Mama hätte meinen Namen gestohlen. Er sagte

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