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Kurzer Abriss meines Lebens in der mongolischen Steppe

Kurzer Abriss meines Lebens in der mongolischen Steppe

Titel: Kurzer Abriss meines Lebens in der mongolischen Steppe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Hulova
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davon, wie sie vor lauter Brennen auf dem ganzen Körper nicht einmal sitzen konnte. Sogar im Gesicht hatte sie abstoßende rote Flecken, und ihre Hände waren in jenem
Halbschlaf blutig, wie in Ketchup getaucht. Das beglückte mich.
    Ich fühlte mich stark, weil Dolgorma die tollste Frau des Baschkgansker Somonkreises gewesen und mir die Ehre zuteil geworden war, nach ihr benannt zu werden.

    Mama und ich führten ein gutes Leben. Wir hatten eine Wohnung in der Stadt und mussten nie bei Verwandten auf dem Land um Fleisch und Milch betteln wie die meisten meiner Mitschüler. Im Winter ging ich in den Pausen zwischen dem Unterricht zu Inche. Sie wohnte gleich neben der Schule, und den Weg nach Hause und zurück nur deswegen zu frieren, um daheim für lächerliche zwanzig Minuten die Füße unter den Heißwasserhahn zu halten, hatte ich keine Lust. Bei ihnen sah ich, wie unglaublich gut es mir und Mama ging.
    Mama kaufte immer das beste Kuhfleisch und dazu Erbsenkonserven, eingelegtes Gemüse in Gläsern, auch Mayonnaise in großen gelben Beuteln zu drei Stück, zarte zerbrechliche Nussplätzchen und langes luftiges Baguettebrot. Nicht die schweren bitteren Brotlaibe, wie sie sie bei Inche hatten.
    Aber sogar die hatten sie nur manchmal.
    Bei Inche ging man immer auf den Balkon, und dort stand zwischen kleinen Kisten verkeilt eine gefrorene Ziege. Von ihr schnitt uns Inches Mama jeden Tag ein Stück ab und schüttete aus einem großen groben Sack zwei Handvoll billige Nudeln in einen Topf. Das war alles. Dann bekamen wir bei ihr noch ein verklebtes Bonbon mit Papierfusseln darauf, das musste anscheinend so sein.
    Inche fand das nicht seltsam, ich aber schon.
    Mama schickte ihnen durch mich ab und zu Schokolade, damit ich nicht als Schmarotzerin dastünde, als ich aber auch
unsere Birnenkompottkonserven und irgendwelche Gewürze zu Inche mitnehmen wollte, erlaubte sie es nicht. Dass sie sich angeblich was denken würden und so arme Schlucker auch wieder nicht wären. Dass Inche so was wahrscheinlich nicht eingefallen wäre, stimmt. Besser ist es mir aber immer gegangen.
    Ich war wie in fremden, nichtmongolischen Filmen gekleidet und Mama auch. Mama trug glatte Strümpfe und feine Blusen, um die sie alle Frauen beneiden konnten. Noch besser gekleidet aber war Tante Nara. Ich glaube, dass es für Mama nie einen ihr näheren Menschen als sie gab.
    Manchmal, wenn ich von der Schule kam, saßen Mama und sie bei uns in der Küche und waren in Gespräche vertieft. Ich hatte schon bei der Eingangstür Naras teuren Tabak gerochen. Sie rauchte lange dünne Zigaretten, die ich in unseren Kiosken nie sah. Die Finger waren davon überhaupt nicht gelb verfärbt, und gleich aus dem Vorzimmer rief sie durch den Nebel aus Rauch meinen Namen, und ich stürzte zu ihr, um mich auf ihren Schoß zu setzen. Sie hatte große Brüste, größere und auch viel weißere als Mama. Sie duftete nach Zigaretten, einem schweren süßen Parfum und manchmal nach Alkohol. Sie trug eine Brosche, zwei Ringe und hatte hohe Bleistiftstöckel. Sie war eine Dame. Wenn sie ihre Locken herumschleuderte, begann das ganze Zimmer nach fremdländischen Blumen zu riechen. Nur eine etwas sehr derbe Stimme hatte sie. Sie erinnerte an die vom Anpreisen der Waren grob gewordenen Stimmen der Weiber vom Markt.
    Zum Markt kam ich mit Mama nicht. Nur, wenn ich mit einer Freundin einkaufen ging. Auf dem Markt haben sie nur das Billigste und Schlechteste. In den Geschäften dagegen haben die Verkäuferinnen hübsche Kleider an, es ist dort
warm, und man streitet nicht über die Preise. Mama kaufte mir immer, was ich wollte, und sich selbst auch. Daher kam es mir merkwürdig vor, wenn ich sie mitunter zusammengerollt auf der Couch fand oder im Badezimmer eingesperrt, und wenn sie herauskam, hatte sie rote verweinte Augen. Ich glaubte damals, wir hätten alles, was wir wollten. Aber auch mich überkam es manchmal. Auch ich war manchmal niedergeschlagen.
    Dass Mama ständig wegging, hatte ich bald als anrüchig zu empfinden begonnen. Schon im Chuuchdiin Tsetserleg hatte ich von den anderen Kindern erfahren, dass ihre Mütter in der Nacht nicht arbeiteten. Keine einzige. Nur meine.
    Mama machte mit meinen Fragen kurzen Prozess. Für solche Sachen wäre ich noch zu klein, sagte sie immer.
    Als ich schon größer war, kanzelte sie mich ab, das ginge mich nichts an und ich solle mir doch ansehen, wie meine Freundinnen ewig hungrige Augen hätten und ihre Schuhe von den älteren

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