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Kurzer Abriss meines Lebens in der mongolischen Steppe

Kurzer Abriss meines Lebens in der mongolischen Steppe

Titel: Kurzer Abriss meines Lebens in der mongolischen Steppe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Hulova
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weißer Farbe nach. Ich durfte nur einfache Linien nachziehen, weil ich gleich beim ersten Tier über den Rand gefahren und eines einzigen unvorsichtigen Pinselstrichs wegen aus einem Pferd ein buckliger Yak geworden war. Wir malten bis zum Abend, und erst als uns von der Finsternis die Augen zu tränen begannen, ritten wir heim, um zu essen. Je nachdem, wie Najma Zeit hatte, ritten wir noch ein paar Mal mit der Blechdose zu den Felsen und besserten aus, was nicht mehr gut zu sehen war.

    Die Risunki strahlten wie neu. Dann zeigten wir sie den anderen, und sogar Batdschar, der sich sonst nicht viel mit mir unterhielt, gab zu, dass es besser als früher war. Das waren die schönsten Ferien von allen im Kreis Baschkgansk gewesen. Ich genierte mich nicht mehr, hatte mir ein paar Fertigkeiten angeeignet und war zu klein, um die Misere zu sehen, in der die Landleute lebten.
    Oma behauptete, ich würde mich deswegen über die Dinge auf dem Land wundern, weil ich bislang keinen Fuß vor die Stadt gesetzt hätte, aber ich wunderte mich gar nicht, es gefiel mir einfach nicht.
    Beispielsweise werfen wir in der Stadt Plastiktüten mit Spraydosen, Wodkaflaschen und Essensresten aus dem Fenster, bei Oma hingegen sammelte sich alles rund um das Ger wie ein Wall, den ich jedes Mal mit größter Selbstüberwindung überschreiten musste. Vom Waschen zu reden hatte überhaupt keinen Sinn, und Wäsche gewaschen wurde auch selten. Wenn ich in der Stadt früher Leute vom Land sah, dachte ich, sie wären vom Wind gepeitscht und von der Sonne gebräunt, wie sie im Sommer tagelang mit den Pferden um die Herden galoppieren und das Vieh zusammentreiben, aber der Bronzeglanz auf ihnen ist eine gewöhnliche fettige Rußkruste. Nichts anderes. Und das mit den Knöchelchen ist ein ähnlicher Betrug. Wenn Kinder darum würfeln, wer Argal holen geht, bitteschön. Auch ich trug mit Zula diese Kämpfe aus. Aber wenn Großmutter die Knöchelsteine wirft, ob der Tag sich zum großen Melken eignet oder nicht oder ob Großvater schon dieses Jahr eine neue Tür kaufen oder noch warten soll, ist das Unsinn. Je älter ich wurde, desto absurder wurde das Land für mich. Und widerlicher.
    Mama sagte, die Schafe von Großvaters Herde wären
die schmackhaftesten in der ganzen Mongolei westlich der Hauptstadt. Der außergewöhnlichen Kräuterweide wegen wäre das Fleisch angeblich so aromatisch, dass man nur Salz dazu braucht. In den Essschalen war schließlich aber trotzdem lauter Talg, der mir beim Schlucken immer irgendwo im Hals stecken blieb und beim Rülpsen stank, als würde ein Ziegenbock ausatmen. Mit den Dosenwürstchen aus dem Sansaar war das Zeug nicht zu vergleichen.
    Auch Tsetsegma und Zula hörten bald auf, spaßig zu sein, und übrig blieb nur ihre Widerlichkeit. Ich musste mir bei ihnen immer Respekt erkämpfen. Die zwei verbrachten das ganze Jahr in einer Internatsschule und wussten dabei nicht einmal, wann unsere Republik entstanden war, wo die Wolga und die Vereinigten Staaten liegen. Mit Ach und Krach noch Dschingis Khans Biographie. Darauf hat man sie dressiert. Ist sowieso alles erfunden.

    Immer wenn Mutter bei uns in der Küche saß, zum Beispiel mit Nara oder einer anderen Frau, war trotz geschlossener Tür die ganze Wohnung von dröhnendem Lachen erfüllt. Sie kochten und hörten Radio, und ich spitzte im Nebenzimmer, den Kopf über einem Mathematik- oder Geschichtsbuch, die Ohren wie der Hund Tsereg aus der Serie Tsagdaa.
    Wurde im Radio was Hübsches gespielt, war manchmal ein zweifaches Stampfen zu hören, oder Mama brach unvermittelt in lautes Lachen aus, wenn Nara eine lustige Geschichte auspackte.
    Im Ger wirkte Mama trübsinnig und hatte die Augen niedergeschlagen, und wenn Oma sie anschrie, begann Mamas Kinn zu zittern. Als wäre sie die Jüngere und nicht Ojuna. Ich schämte mich für sie und hasste Großmutter.

    Ich war dabei, als Großmutter ganz ratlos war, weil Mama und ich eine neue Taschenlampe aus der Stadt mitgebracht hatten. Sie wusste nicht, wie man sie einschaltet, und dann leuchtete sie für die Schafe ins Dunkel und lachte, weil ihre Augen rot strahlten, und dann leuchtete sie auch Ojuna und Tsetsegma ins Gesicht, und Mama hockte da und war still.
    Großmutter wusste nichts von der Welt und trotzdem nickte Mutter stets zu allem.
    Wenn Großmutter Mama freigab und auch Ojuna keine Hilfe brauchte, saß sie immer auf einem flachen Stein in der Nähe der Felsen mit den Risunki. Die Steine waren warm von der Sonne,

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