Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kurzer Abriss meines Lebens in der mongolischen Steppe

Kurzer Abriss meines Lebens in der mongolischen Steppe

Titel: Kurzer Abriss meines Lebens in der mongolischen Steppe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Hulova
Vom Netzwerk:
schlafen und mich jenen anschließen, die vom Land in die Hauptstadt abgehauen oder vor ihren Angehörigen weggerannt sind, die sie geprügelt und die Misere mit Schnaps ertränkt haben, könnte ich nicht. Ich wollte ohnehin schon lange zu Otschir, aber das war, bevor das mit Mama aufflog, nicht möglich. Er sagte, Hauptsache, Mama hätte mir ihr Handwerk nicht beigebracht, nahm mein Bündel und schmiss es auf den Boden seines Schranks, und ich hatte ein neues Zuhause.
    Otschir besaß eine ziemlich große Wohnung im letzten Stock. Der Wind sauste dort, und wenn Schoroo war, schien das ganze Haus ein wenig zu schwanken, es schaukelte, und zwischen den nicht ganz zu schließenden Fenstern heulte die Windsbraut. Aber wir hatten ohnehin den Balkon ganz mit Draht verrammelt, irgendein besonders Cleverer hätte laut Otschir sonst heraufklettern können, und ein fremdes Gesicht vorm Balkonfenster wäre mir auch nicht lieb gewesen.
    Otschir war über dreißig. Er war aufrichtig zu mir und sagte mir alles gleich am ersten Abend, als ich meine Sachen brachte. Seine Frau hatte ihn mit den Kindern verlassen, angeblich des Geldes wegen. Als er aber aufzählte, was diese seine Tussi alles gewollt hatte und nur das Beste, begriff ich nicht, wie er es mit ihr die paar Jahre überhaupt aushalten konnte. Und er zahlte ihr auch noch Alimente.
    Das alles beredeten wir gleich am ersten Abend.
    Wir lagen mit einer großen geblümten Decke zugedeckt zusammen auf dem Ehebett, hielten uns an den Händen, und ich spürte, wie riesig mein Herz war, wie es wie ein großes
atmendes Lebewesen pulsierte und Otschir es wie der Duft eines Stoffbeutels mit Quendel ganz durchdrang. Er war wie mein Vater, ich konnte mit den Armen kaum seine Lenden umfassen, und gleichzeitig war er klein, kam mir an diesem Abend gleichsam in meine Hand gekuschelt vor, und ich spürte die Kraft, die eine Frau hat, wenn ihre Finger mit denen eines Mannes verflochten sind, allein durch dieses gemeinsame Schweigen glätten sich all die wulstigen Narben wieder, und die stille Nacht verschluckt in ihren paar Stunden alle Schrammen.
    Otschir hatte eine eigene Firma. Er beschäftigte einen Fahrer und gelegentlich noch einen weiteren und zeigte den Dschuultschin, den Fremden aus anderen Ländern, die Mongolei. Er führte sie durch die Stadt und machte anschließend eine Touristentour mit ihnen. Sie ging nach Erdene Dsuu, zu Dsogt-Tajdschs Burg und noch in ein paar Städte, und er scheffelte ganz schön viel Geld. Wenn die Dschuultschin es wollten, brachte er sie manchmal bis zum Uws Nuur und Chöwsgöl Nuur, und sie fingen dort große Fische, wie sie sie bei sich daheim überhaupt nicht hatten, und ließen sich begeistert zwischen Kamelhöckern sitzend herumführen.
    Otschir nahm mich selbstverständlich zu sich in die Firma, ein paar fremde Wörter kannte ich aus der Schule, und ich lernte schnell.
    Ich führte sie ins Gandan-Kloster, sagte ihnen, was mir Otschir gesagt hatte, und wenn ich nicht weiterwusste, runzelte ich die Stirn, es handle sich hierbei um ein Geheimnis, oder jeder habe davon seine eigene Version, und damit hatte es sich. Otschir traf alle Entscheidungen, erledigte den Kram drumherum, und mir kam die Arbeit für dieses Geld überhaupt nicht kompliziert vor. Ich hatte auch genug Zeit für mich,
und so bummelte ich durch Geschäfte, räumte auf und kochte Otschir gute Sachen, wie sie mir Mama beigebracht hatte. Es gab nicht den geringsten Schatten dabei. Nichts, worüber ich hätte nachdenken müssen.
    Die Tage flossen dahin wie der langsame Lauf der Tuul von Ulan Bator, die schwarze Nacht und der weiße Tag hüpften wie meine Augen über das Schachbrett, das Otschir und ich abends manchmal hervorholten, und mir kam es selbstverständlich vor, dass wir bis ans Ende von Otschirs Tagen zusammenbleiben würden.
    Aber das Ende war genauso unverhofft da wie der Anfang. Als ich einmal am Abend heimkam, war da eine unbekannte alte Frau in der Küche und zwei fremde Kinder saßen auf Taschen im Vorzimmer. Otschir stand mit dem Rücken zu mir in der Küche und tat, als wäre nichts, obwohl es unmöglich zu überhören war, wie ich die Tür zuschlug. Er drehte sich erst um, als diese Frau eine angewiderte Grimasse in seine Richtung machte und sich an mir vorbei zu den Kindern drückte.
    Jeder erwachsenen Frau wäre es sofort klar gewesen, ich hingegen stand die halbe Stunde lang, die er in abgerissenen Sätzen redete, mit offenem Mund da und schloss ihn erst, nachdem

Weitere Kostenlose Bücher