Kurzer Abriss meines Lebens in der mongolischen Steppe
manchmal ein ähnliches Gefühl. Ich bin mir nicht sicher, ob sie nicht etwas verbirgt. Sie möchte von der Stadt nicht reden, und wenn sie es tut, passen die Wörter nicht zusammen, sie rasseln wie Korallen in einer Holzdose. Als wollte sie rasch einen Spruch loswerden, der von jemand ganz anderem handelt.
Hauptsache, sie ist zufrieden. Sie beklagt sich nie, außerdem ist sie eine erwachsene Frau, also soll sie schweigen, wenn sie
sich nicht rühmen möchte. Nara weiß sicher alles. Ich konnte Mamas Verhöre auch nicht leiden und vertraute immer alles Gelber Blume an. Das ist schon so.
Gelbe Blume würde ich gerne noch einmal sehen. Sie ist der Beweis dafür, dass sich nicht jeder in der Stadt in den Dreck strampeln muss. Schartsetseg ist immer gleich. So lange ich sie kenne, und das sind mehr als sechzig Winter. Sie hat mir immer geholfen. Allein schon die Art, wie sie mir aufmerksam zuhörte, verschaffte mir jedes Mal große Erleichterung. Zum Beispiel damals, als die Mädchen klein waren. Es war noch vor dem Unglück mit Magi, als ich bemerkte, dass Ojuna um den Knöchel so bläuliche Striemen auf der Haut hatte. Sie vertraute mir an, Dzaja und Nara würden sie manchmal zum Spaß fesseln. Ich verdrosch die zwei Mädchen wie Pferde, aber Ojuna hatte neuerlich diese Abdrücke und vertraute sich mir auch mit anderen Sachen an. Dzaja und Nara waren einfallsreich.
Ich habe nicht alle meine Kinder gleich gern und empfinde das als Schuld. Ojuna war mir immer die Liebste gewesen, kleine Kinder wittern das, wie Tiere die Angst der Menschen wittern. Wie kann ich meinem Herzen befehlen? Jetzt hat jede schon ihr eigenes Leben, aber damals konnte ich deswegen nicht schlafen. Schartsetseg sagte mir, es ginge einer Menge Frauen so, ich solle mich nur an unsere Mutter und Chiroko erinnern. Ich vergegenwärtigte mir das Bild, wie Mama mit gespreizten Beinen vor der Tür stand und Chiroko nicht ins Ger lassen wollte, und auch wir Kinder wollten, dass sie ging. Ich bin viel besser als sie. Bei mir sind alle meine Kinder willkommen, und alles wurde seit eh und je zu gleichen Teilen geteilt. Keine kriegte eine größere Portion, keine durfte der anderen Böses tun, nie sagte ich, dich mag ich und dich nicht.
Als Gelbe Blume Dzaja damals anbot, zu ihr in die Stadt zu kommen, stimmte ich anfangs nicht zu. Meine Vorstellungen waren anders. Ich wollte nicht, dass meine Töchter sich in alle Winde zerstreuten wie einst ich, Gerle, Schartsetseg und Onon. Gelbe Blume sagte, sie wird glauben, du vergönnst es ihr nicht. Dzaja gehen zu lassen ging mir gegen den Strich, aber darauf hörte ich. Hauptsache, sie sah, dass ich es ihr recht machen wollte.
Ojuna warf mir das später vor, aber ich kann ihr das nicht erklären.
Am meisten half mir Gelbe Blume, als Magi von uns ging. Tuuleg hatte nur für den Wodka Augen, und um den ganzen Rest musste ich mich kümmern. Es gab viel zu tun, und Gelbe Blume bot mir von allein an, sie würde mir zur Hand gehen. Alle Mädchen waren in sie vernarrt. Was sie sagte, war heilig. Sogar meine Abendgeschichten verblassten neben ihren wie ein Wolfsbastard neben einem Banchar, sie waren wertlos wie eine Mütze im heißen Sommer, und die Mädchen wollten nur ihr zuhören. Und am meisten von allen Dzaja.
Damals hoffte ich, Schartsetseg würde wenigstens ein einziges Kind gebären. Sie war nicht mehr die Jüngste, aber es wäre immer noch möglich gewesen. Als ich sah, wie gut sie mit den Kleinen umgehen konnte, betete ich darum. Es gibt kein schlimmeres Verhängnis für eine Frau. Es gibt keine grausamere Strafe auf der Welt. Und Schartsetseg hat sich so etwas nicht verdient.
Auch Nara erging es so.
Eine Frau ohne Kind ist wie ein Baum ohne Früchte. Einsam und vielleicht stark, aber unnütz. In der Steppe gibt es zahllose solcher Bäume. Sie wachsen aus Felsrissen hervor, drehen sich
nach dem Wind, aber rund ums Jahr wird nicht eine Biene zu ihnen hinfliegen. Mir schaudert vor diesen Bäumen, mir schaudert vor Frauen ohne Kinder.
Ich kenne mehrere. Anra, Naras Freundin, als sie noch im Zentrum unterrichtete, ist eine davon. Wie viele Ärzte Ulantsetseg, ihre Mutter, die böswillige Menschen nicht anders als Uuregma nennen, nicht mit ihr abgeklappert hat. Sämtliche Schamanen in der Gegend suchte sie mit ihr der Reihe nach auf und nichts. Anra hat einen guten Mann, aber wenn er kein Dummkopf ist, wird er sich früher oder später eine andere suchen.
Jeder will ein Kind.
Anra ist jetzt schon über
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