Kurzer Abriss meines Lebens in der mongolischen Steppe
ersten Nacht ein Kind, und mit Tuuleg mussten wir immer warten.
Auch Urenkel würde ich gerne noch erleben. Die Frauen in der Umgebung, die so alt sind wie ich, haben oft schon einen und auch zwei oder drei. Ich will nicht sterben, ohne in meiner Sippe noch einmal das Weinen eines Neugeborenen gehört zu haben. Das mit dem Yaktalisman von Batdschar ist merkwürdig. Die Mutter seiner Kinder dürfte davon aber ohnehin nicht zu erwarten sein. Würde er es ernst meinen, käme er, um sie herzuzeigen, und würde mich nicht dumm dastehen lassen. Soll er sich austoben, später kann er das nicht mehr. Dass er nur nicht irgendein vertrauensseliges Mädchen zu einem unglücklichen macht.
In den letzten Wochen habe ich keine große Hoffnung mehr, noch Urenkel zu erleben. Die verflixte Gallenblase will nicht zur Vernunft kommen. Möglicherweise wüsste Chiroko einen Rat, aber die ist schrecklich weit weg. Wenigstens noch Dolgorma im nächsten Jahr sehen können. Die Mädchen in diesem Alter ändern sich schrecklich schnell. Sie wird im nächsten Sommer sechzehn oder siebzehn, ich weiß gar nicht. Kurzum, eine erwachsene Frau mit allem Drum und Dran, und noch dazu schön.
Würde sie doch aus meinen Ratschlägen eine Lehre ziehen. Ich glaube aber, dass es auch so nicht ganz umsonst ist.
Ob sie meine Erfahrungen hören will oder nicht, sie nisten sich irgendwo in ihrem Kopf ein, und später wird sie sie sozusagen finden. Sie wird sich noch viele Male an ihre Großmutter erinnern. Und dass die Dinge so sind, wie sie sagte. Weil es wirklich so ist.
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DZAJA UND NARA sind seit jeher hochnäsig gewesen, und sie haben auch ein dementsprechendes Ende genommen. Dass das jüngste Kind mit den älteren um alles raufen muss, weiß jeder, und mit mir war es halt nicht anders. Ich hab nie was umsonst bekommen. Das ist gar keinem aufgefallen. Was hätte ich auch sagen sollen, ich komme zurecht mit mir und danke noch dazu den Göttern, dass sie mein Leben so einrichteten, mich einen Weg zwischen Dornen gehen ließen, um mich schließlich mit einem Mann und drei Kindern zu belohnen.
Was sollte man sich anderes vom Leben erhoffen? Und dafür bin ich als ordentliche Frau noch Tausende Kniefälle und Gebete mit gefalteten Händen schuldig. Mein Leben lang werde ich mich zum Owoo bedanken gehen, und wenn ich meine Knie noch so sehr zuschanden machen und sämtliche unserer Ziegen für Seidenchadags verkaufen würde, wird es nicht genug sein, weil hinter mir immer das Glück stand. Gewiss, ich hatte eine harte Schule, aber ich verstand es, das Glück zu fassen und es nicht wie Dzaja und Nara weglaufen zu lassen. Das ist es nämlich, zupacken und nicht loslassen. Batdschar, Tsetsegma und Zula wiederhole ich das in einem fort. Als ihrer Mutter wird mir immer an ihnen liegen, und ich werde, was sie betrifft, nie meine Zunge im Zaum halten. Sollen sie ruhig einer vom Leben erprobten Frau zuhören.
Sie behaupten, ihre Welt sei anders, und drücken mir immer gleich eine Tasse in die Hand. Artig sind sie alle, wär ja noch schöner, wenn es anders wäre, sich zu benehmen habe ich ihnen beigebracht, und daher lächeln sie nachsichtig und denken sich, ihre Mutter wird klein beigeben und mit zitternden Händen Tee trinken. Ich aber knalle die Tasse auf die Tischplatte und lasse mir mein Recht nicht nehmen. Ich sage, was ich mir denke. Immer. Es ist zu ihrem Wohl. Sie werden es später verstehen und es mit ihren eigenen Kindern genauso machen. Die Alten müssen den Jungen Ratschläge geben, das ist ihr heiliges Recht. Was bleibt ihnen denn anderes?
Ich bin verbraucht, aber auch wenn mich Zula beim Arm nimmt, mache ich doch, was ich will, und eine Stimme habe ich immer noch wie eine Glocke. Ich rief so oft am Abend Männer und Kinder zusammen, dass das Echo in unseren Bergen meinen Namen erlernte. Auch die Zweige raunen mir zu, und wenn jemand lange nicht zurückkommt, rufen sie immer nach Ojuna. Meine Stimme dringt bis an die Wolken und schlägt wie ein durch die sich kreisförmig kräuselnde Wasseroberfläche fallender Stein ein Loch in einen Vogelschwarm, und ein verirrter Junge oder ein im Nebel verlorenes Mädchen findet den Weg zurück. Schon als Kind hatte ich eine kräftige Stimme. Mama hatte viel zu tun, und hätte ich nicht geschrien, hätten Nara und Dzaja mich den ganzen Tag in der ledernen Wiege hängen lassen. Mama stillte mich redlich, das schon, aber viel mehr war nicht drin. Das war Sache von Dzaja und Nara, und die haben sich
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