Kurzschluss
noch vor Fernseher, Computer oder Laptop. Ohne Strom ging eben nichts mehr in dieser Welt. Selbst der mit Akku betriebene Laptop war mit der vernetzten Globalisierung nicht mehr verbunden, wenn das drahtlose Netzwerk im Haus stromlos wurde. Solche Gedanken befielen den Verantwortlichen in der Schaltzentrale, wenn die ersten Anrufe eingingen. Wie einfach es doch war, die ganze Welt lahm zu legen.
*
Bodling war von einem Geräusch wach geworden, das er nicht zuordnen konnte. Er lauschte in die Nacht, stellte zufrieden fest, dass seine Frau schlief und auch vom Kinderzimmer her nichts zu hören war, doch einfach umdrehen und weiterschlummern wollte er nicht. Das Geräusch war in seinen Traum eingeflossen – aber so intensiv, dass er davon erwacht war. Irgendetwas musste gewesen sein. Irgendetwas, das sein Unterbewusstsein Alarm schlagen ließ.
Er rang mit sich, ob er das Lämpchen auf dem Nachttisch anschalten sollte, womit dann vermutlich auch seine Frau wach werden würde. Je mehr er sich auf die Stille konzentrierte, umso mehr hatte er den Eindruck, dass es doch nicht so still war, wie er es gewohnt war. Sein Herzschlag beschleunigte sich.
Noch zwei, drei Minuten vergingen, während derer er mit sich kämpfte, ob er durchs Haus gehen sollte. Wäre jemand durch den Garten geschlichen, wären längst die Lampen des Bewegungsmelders angegangen. Durch die halb geöffneten Rollläden würde er den Lichtschein sehen. Er blieb regungslos liegen, um seine Frau nicht zu wecken und unnötig zu beunruhigen. Vor seinen offenen Augen begannen sich in der absoluten Finsternis Schleier und Schlieren zu bilden – alles Einbildungsgespinste, die ein rebellierendes Hirn zu projizieren vermochte. Stille, absolute Stille. Nicht einmal das Aggregat des Kühlschranks war zu hören, das gelegentlich von der Küche her dumpf vibrierend geringste Schallwellen in die Nacht schickte. Zum ersten Mal, seit sie hier wohnten, empfand er diese Stille als bedrohlich. Und zum ersten Mal überkam ihn der Gedanke, was zu tun wäre, stünde plötzlich jemand vor ihm. Aber vielleicht war dieser Unbekannte schon da. Womöglich schlich er bereits durchs Haus. Hatte die Kinder umgebracht und war wild entschlossen, sein Morden fortzusetzen.
Unfug, redete er seinem rebellierenden Gehirn gut zu. Absoluter Schwachsinn. Schließlich war er ein Mann der Realität und der Vernunft, einer, der tagsüber Entscheidungen von weitreichender Bedeutung fällen musste. Und jetzt lag er im Bett, der Körper von innerer Unruhe erfasst und von geradezu panischer Angst ergriffen. Einer Angst, die er nicht einordnen konnte. Doch dann war da ein Geräusch, das er sich nicht einbildete. Nur ein leises, metallenes Klicken, aber es war da – es kam von draußen, drang durchs gekippte Schlafzimmerfenster. Es klang vertraut. Jedoch mitten in der Nacht, wenn er nicht mal wusste, wie spät es war, hatte dieses Klicken etwas Bedrohliches an sich. Denn es signalisierte, dass jemand das Gartentürchen betätigt hatte. Ein kleines Geräusch nur, aber so verräterisch, wie es die Bilder einer Videokamera sein konnten. Kein Sturm war zu hören gewesen, der die Tür, wenn sie denn offen gestanden hätte, zugeschlagen haben konnte. Und für die kleinen Tiere, die am Ortsrand durch die Nacht strolchten, war es viel zu schwer, um es bewegen zu können.
Bodling löste sich aus der ängstlichen Starre, fingerte zum Kabelschalter der Nachttischlampe, bekam ihn erst beim zweiten Versuch zu fassen und drückte ihn.
Doch das Zimmer blieb finster. Er betätigte den Schalter ein weiteres Mal – und gleich noch ein drittes Mal. Die Finsternis blieb, als sei er im Schlaf erblindet. Es war ihm, als habe ihn ein elektrischer Schlag getroffen.
*
Als die beiden Servicetechniker des Albwerks in Türkheim eintrafen, hatten sie keine Mühe, das Neubaugebiet am Rande des ländlichen Dorfes zu finden. Sie kannten ihr Netzgebiet in- und auswendig, sodass sie sofort eine der beiden Trafostationen ansteuern konnten. Das viereckige, turmartige Häuschen stand am Ortsrand auf einer schmalen Wiesenfläche, die nur von den Scheinwerfern des Kombis erhellt wurde. Von einer Seite des Gebäudes zweigten vier Drähte ab, die sich in Richtung des etwa 200 Meter entfernten Neubaugebiets am Nachthimmel verloren. Rundum, so stellten die Techniker fest, war alles in tiefste Finsternis versunken.
Wenn der Verantwortliche in der Schaltzentrale seine Instrumente richtig gedeutet hatte, dann musste der
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