Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kurzschluss

Kurzschluss

Titel: Kurzschluss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gmeiner-Verlag
Vom Netzwerk:
Wollek hatte sich auf den Dienst gefreut, denn dort oben konnte er nach den stressigen Tagen ausspannen und sich mit Leuten unterhalten, die ihn seinen Job für ein paar Stunden vergessen ließen. Als einer der Ersten war am späten Vormittag Herbert Braun gekommen. Er hatte in den vergangenen Tagen erfahren, dass einer vom Albwerk sogar Turmdienst mache – und sich als Zugezogener für seine neue Heimat ehrenamtlich engagiere. Braun war deshalb hochgestiegen, um ihm dafür Anerkennung zu zollen. Außerdem, so mutmaßte er, dürfte sich nach der Befreiung von Frau Rothfuß unter allen Albwerklern eine gewisse Erleichterung breit gemacht haben. Auch jetzt stand dieses Thema schnell im Mittelpunkt des Gesprächs.
    »Brutalität und Gewalt«, sinnierte Braun und sah aus einem offenen Fenster in die Stadt hinab, »das nimmt immer schlimmere Formen an. Unglaublich, wie die Gesellschaft verroht.«
    Wollek nickte nachdenklich. »Wundert Sie das? Bei Verherrlichung von Gewalt, wie sie überall stattfindet? Im Fernsehen, im Kino, in Videos – wo Sie auch hinschauen.« Er brach kurz ab. »Und sind wir doch mal ehrlich, auch im Berufsleben wird mit allen Bandagen gekämpft.«
    Braun drehte sich um. »Ein steigender Aktienkurs ist mehr wert als ein Menschenleben.«
    »Ganz so drastisch würd ich’s allerdings nicht sehen«, erwiderte Wollek ruhig. »Aber was unsere Väter unter Moral verstanden haben, wird heutzutage nur noch belächelt. Dabei waren es doch Moral, Anstand und gute Sitten, die die Welt zusammengehalten haben. Auch im Osten, wenn ich das mal so sagen darf.«
    »Wer gegen die Naturgesetze lebt, wer missachtet, was uns die Götter lehren, Herr Wollek, der wird von diesen Göttern, oder nennen wir es Universum, langsam aber sicher eliminiert.« Er nickte seinem Gegenüber aufmunternd zu und wandte sich zur Tür. »Daran sollten Sie denken.«
    Braun hatte Schritte näher kommen hören, weshalb er es vorzog, die stickige Turmstube zu verlassen. Offenbar war eine kleine Wandergruppe im Anmarsch. Sie betraten nacheinander den Raum, bis sich etwa ein gutes Dutzend Personen, darunter auch Kinder, um Wollek gruppiert hatte. Er hieß sie als Turmwächter willkommen und gab ein paar knappe Erläuterungen zu dem historischen Gebäude. Besonders die Kinder wies er auf einige Fundstücke hin, die bei Grabungen auf der nahen Burg Helfenstein entdeckt worden waren. Dann jedoch unterbrach ihn die Melodie seines Handys. Er entschuldigte sich, ging mit dem Gerät entlang der Mauerrundung zur anderen Ecke. »Hallo«, sagte er im Flüsterton und lauschte dem Anrufer.
    Mehr als ein paar knappe »hm«, »äh« und die energische, abwehrende Äußerung »Ach was, lass mich doch in Ruhe« gab er nicht von sich. Dabei achtete er darauf, dass die Besuchergruppe auf sein Gespräch nicht aufmerksam wurde. Er beendete es wortlos und steckte das Handy in die Innentasche seiner Freizeitjacke.
    Markus Wollek hatte Mühe, sich auf die Erläuterungen zu konzentrieren, die er den Besuchern geben wollte. Die Kinder stellten die obligatorische Frage, ob denn noch irgendwo eine Kanonenkugel im Gemäuer stecke, was er verneinte.
    Noch während die Gruppe im Aufbruch war, tauchte unter der Tür ein schwergewichtiger Mann auf, der mit seiner kräftigen Stimme den Raum zum Dröhnen bringen konnte: »Guten Morgen, die Herrschaften, willkommen auf dem Ödenturm.« Leichtle war außer Atem und stellte eine Stofftragetasche in die hintere Ecke. »Sie brauchen meinetwegen nicht schon wieder zu gehen«, rief er der Besuchergruppe hinterher, von der die Ersten bereits abwärts stiegen.
    Leichtle schlug Wollek so kräftig auf die Schulter, dass dieser beinahe in die Knie ging. »Mensch, Markus, eure Sekretärin haben se befreit.«
    Wollek nickte und versuchte ein Lächeln. »Glücklicherweise, ja.«
    »Darauf müssen wir einen trinken«, schlug Leichtle vor und zauberte eine Flasche Sekt und zwei Gläser hervor. »Pass auf, gleich knallt’s.«
    Wollek sah ihn irritiert an. Leichtle hatte bereits damit begonnen, die Silberfolie vom Korken zu ziehen und ihn mit der kräftigen Rechten zu lockern. Er hielt die Sektflasche mit dem Hals voraus aus dem hinteren Fenster, von dem aus das Waldgebiet entlang der Albkante zu überblicken war, und versuchte, den Korken mit einem Daumen vollends herauszudrücken. Gleich würde er mit einem lauten Knall in die umstehenden Bäume fliegen. Wollek stand seitlich hinter ihm, um das Spektakel aus der Nähe sehen zu können, das

Weitere Kostenlose Bücher