Kuschelmuschel
das Flugzeug entführte sie - für immer und immer und immer. Wieder brach Annas Herz in tausend Stücke, doch war sie stolz darauf, dass ihre beiden Töchter nicht die geringste Ahnung hatten, wie es in ihr aussah. («Ach Mami, ist es nicht herrlich? » - «Ja, mein Liebling, es ist die schönste Hochzeit, die ich miterlebt habe! Ich bin noch viel aufgeregter als du! » Und so weiter und so weiter.)
Und dann, um das Maß voll zu machen, ging ihr geliebter Billy, eben achtzehn geworden, zu seinem ersten Studienjahr nach Yale.
Und so war Anna auf einmal ganz allein in einem menschenleeren Haus.
Es war ein grässliches Gefühl, nach dreiundzwanzig Jahren lärmenden, turbulenten, glücklichen Familienlebens am Morgen allein zum Frühstück hinunterzugehen, schweigend vor einer Tasse Kaffee und einem Stück Toast zu sitzen und zu überlegen, was man mit dem Tag anfangen sollte, der sich so endlos vor einem erstreckte. Das Zimmer, in dem man sitzt, dasselbe Zimmer, das soviel Lachen gehört, so viele Geburtstage, so viele Weihnachtsbäume und so viele Geschenke gesehen hat, die jubelnd ausgepackt wurden, ist jetzt totenstill und merkwürdig kalt. Die Luft ist warm, die Temperatur normal, und dennoch fröstelt man in diesem Raum. Die Uhr ist stehen geblieben, weil man sie ja doch nie selbst aufgezogen hat. Ein Stuhl wackelt, und man fragt sich, wieso man das nicht schon vorher gemerkt hat. Und wenn man aufblickt, hat man auf einmal das beängstigende Gefühl, dass alle vier Wände ganz langsam immer näher auf einen zurücken, wenn man gerade nicht hinsieht.
Am Anfang ging sie mit ihrer Kaffeetasse zum Telefon und fing an ihre Freundinnen anzurufen. Doch alle ihre Freundinnen hatten Ehemann und Kinder und waren zwar nett und herzlich und fröhlich am Apparat, aber sie hatten einfach keine Zeit, sich am frühen Vormittag schon hinzusetzen und mit der traurigen Frau am anderen Ende der Leitung zu plaudern. Und so begann sie, ihre verheirateten Töchter anzurufen.
Auch sie waren immer sehr lieb zu ihr. Schon bald jedoch fiel Anna auf, dass ihr Verhalten ihr gegenüber sich unmerklich änderte. Sie war nicht mehr die Hauptperson in ihrem Leben. Die beiden hatten jetzt Ehemänner, um die sich bei ihnen alles drehte. Freundlich, aber bestimmt schoben sie ihre Mutter in den Hintergrund. Das war für Anna ein großer Schock. Aber die Mädchen hatten recht, das wusste sie. Sie hatten absolut recht. Sie hatte nicht mehr das Recht, in das Leben ihrer Töchter einzugreifen und bei ihnen Schuldgefühle zu wecken, weil sie sie vernachlässigten.
Sie suchte Dr. Jacobs noch immer regelmäßig auf, aber auch er konnte ihr nicht viel helfen. Er versuchte sie zum Reden zu bringen, und sie gab sich auch große Mühe. Gelegentlich hielt er ihr einen kleinen Vortrag voll versteckter Anspielungen über Sex und Sublimierung. Anna begriff nie so recht, worauf er hinauswollte, im wesentlichen aber schien es sich darum zu handeln, dass sie sich wieder einen Mann nehmen sollte.
Sie begann, allein im Haus herumzuwandern und Dinge in die Hand zu nehmen, die Ed gehört hatten. Sie hob einen seiner Schuhe auf, steckte die Hand hinein und tastete die kleinen Vertiefungen ab, die sein Fuß und seine Zehen auf der Innensohle hinterlassen hatten. Als sie eine Socke mit einem Loch entdeckte, bereitete es ihr eine unbeschreibliche Freude, das Loch zu stopfen. Manchmal suchte sie auch ein Hemd, eine Krawatte, einen Anzug heraus und legte alles auf dem Bett bereit, damit Ed es anziehen konnte, und einmal, an einem verregneten Sonntagvormittag, kochte sie Irish-Stew.
So konnte es nicht weitergehen, es war hoffnungslos.
Wie viele Tabletten würde sie also brauchen, um diesmal ganz sicherzugehen? Sie ging nach oben und zählte ihren geheimen Vorrat nach. Neun waren noch da. War das genug? Ganz sicher nicht. Oh, verdammt. Das einzige, was sie ganz ohne Zweifel nicht noch einmal ertragen konnte, war ein Misslingen - die rasende Fahrt zum Krankenhaus, das Magenauspumpen, den sechsten Stock des Payne-Whitney-Pavillons, die Psychiater, die Demütigungen und all das Elend.
Dann musste sie eben eine Rasierklinge nehmen. Das Schwierige mit der Rasierklinge war nur, dass man es richtig machen musste. Die meisten Selbstmordkandidaten fingen es schon falsch an, wenn sie die Rasierklinge am Handgelenk ansetzten. Nein, nicht nur die meisten - so gut wie alle. Sie schnitten nicht tief genug. Tief drinnen gab es eine große Arterie, die man
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