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Kuschelmuschel

Kuschelmuschel

Titel: Kuschelmuschel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roland Dahl
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Begegnung alle Register, und ein zweites Treffen kann deshalb nicht mehr sein als die gleiche alte Melodie auf derselben alten Geige. Wer hätte danach schon Verlangen. Ich jedenfalls nicht. Als ich an jenem Morgen also plötzlich beim Frühstück Henris drängende Stimme am Telefon hörte, hatte ich seine Existenz schon beinahe vergessen.
     
Ich fuhr durch den teuflischen Pariser Verkehr zur rue de Cassette. Ich parkte meinen Wagen und fuhr im engen Lift zum dritten Stock hinauf. Henri öffnete die Tür des Labors. «Nicht bewegen! », rief er. «Bleiben Sie da, wo Sie sind! » Er eilte fort und kehrte nach ein paar Sekunden mit einem kleinen Tablett zurück, auf dem zwei fettig aussehende Gegenstände aus rotem Gummi lagen. «Nasenstöpsel», sagte er. «Stecken Sie sie bitte in die Nase. Wie ich. Um die Moleküle fernzuhalten. Nur fest hinein damit! Sie müssen durch den Mund atmen, aber das ist ja nicht so schlimm. »
     
Am stumpfen Ende der Nasenstöpsel waren kurze blaue Fäden befestigt, wahrscheinlich, um die Stöpsel wieder aus den Nasenlöchern herauszuziehen. Ich sah, wie diese blauen Fäden aus Henris Nasenlöchern heraushingen. Ich führte also meine Stöpsel ein. Henri inspizierte sie. Mit dem Daumen rammte er sie noch etwas tiefer hinein. Dann tänzelte er zum Labor zurück, winkte mit seinen behaarten Händen und rief: «Kommen Sie jetzt herein, mein lieber Oswald! Nur herein! Herein! Entschuldigen Sie bitte meine Erregung, aber dies ist ein großer Tag für mich. » Wegen der Stöpsel in seiner Nase sprach er, als hätte er eine schwere Erkältung. Er hüpfte zu einem Schrank hinüber, griff hinein und holte eines jener kleinen viereckigen Fläschchen aus sehr dickem Glas heraus, die ungefähr eine Unze Parfüm fassen. Er trug es zu mir herüber, wobei seine Hände es so zärtlich umschlossen, als trügen sie ein kleines Vögelchen. «Sehen Sie! Hier ist es! Die kostbarste Flüssigkeit der Welt! »
     
Solche idiotischen Übertreibungen kann ich nicht ausstehen. «Sie meinen also, Sie haben es geschafft? », fragte ich.
     
«Ich weiß, dass ich es geschafft habe, Oswald. Ich bin mir sicher, dass ich es geschafft habe. »
     
«Erzählen Sie mir, was passiert ist. »
     
«Das ist nicht so einfach», sagte er. «Aber ich will es versuchen. » Er stellte die kleine Flasche vorsichtig auf die Bank. «Ich hatte diese spezielle Mischung, Nr. 1076, heute Nacht zum Destillieren dagelassen», fuhr er fort. «Weil alle halbe Stunde nur ein Tropfen destilliert wird. Ich ließ sie in einen luftdicht verschlossenen Glasbehälter tropfen, damit sie nicht verdampfen kann. Alle diese Flüssigkeiten verflüchtigen sich sehr leicht. Und kurz nachdem ich heute morgen um halb acht kam, ging ich zu Nr. 1076 und öffnete den Gefäßverschluss. Ich schnupperte ein bisschen. Nur ein kleines bisschen. Dann legte ich den Verschluss wieder drauf. »
     
«Und dann? »
     
«Oh, mein Gott, Oswald, es war phantastisch! Ich verlor völlig die Kontrolle über mich! Ich tat Dinge, die mir auch in einer Million Jahren nicht im Traum eingefallen wären! »
     
«Zum Beispiel? »
     
«Mein Lieber, ich wurde völlig wild! Ich wurde zum wilden Tier! Zur Bestie! Nichts Menschliches war mehr an mir. Die Zivilisation von Jahrtausenden fiel von mir ab! Ich war ein Steinzeitmensch! »
     
«Was taten Sie? »
     
«Ich kann mich nicht sehr deutlich erinnern. Es war alles so schnell und heftig. Aber ich wurde von dem erschreckendsten Gefühl der Wollust überwältigt, das man sich vorstellen kann. Alles andere in meinem Gehirn war wie ausgelöscht. Alles, wonach ich verlangte, war eine Frau. Es kam mir so vor, als würde ich unverzüglich explodieren, wenn ich nicht sofort eine Frau in die Hände bekäme. »
     
«Glückliche Jeanette», sagte ich, einen Blick zum Nebenzimmer werfend. «Wie geht's ihr denn danach? »
     
«Jeanette hat mich vor über einem Jahr verlassen», sagte er. «Ich habe sie durch eine glänzende junge Chemikerin ersetzt, die Simone Gautier heißt. »
     
«Also dann, glückliche Simone. »
     
«Nein, nein! », rief Henri. «Das war ja gerade das Schreckliche! Sie war noch nicht da! Ausgerechnet heute musste sie zu spät kommen. Ich wurde langsam verrückt. Ich stürzte in den Flur und eilte die Treppe hinunter. Ich war wie ein gefährliches Tier. Ich war auf der Jagd nach einer Frau, nach irgendeiner Frau, und Gott gnade ihr, wenn ich sie gefunden hätte. »
     
«Und wen fanden Sie? »
     
«Gott sei Dank

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