Kuss der Nacht - Band 02
zum Kraftwerk. Kennt man sich nicht aus, kann man sich hier unten leicht verirren.«
Zu meiner Überraschung endete der Gang vor einem unterirdischen Wasserlauf. Bones blieb stehen. »Hier treffen wir uns mit Mencheres.«
»Ist nicht wahr«, schnaubte ich.
Eine kleine Weile später war ein knarrendes Geräusch zu hören. Dann öffnete sich wie in einem alten Draculafilm langsam eine schwere Tür in der Wand, und ein dunkelhaariger Vampir kam zum Vorschein. Fehlt nur noch der Umhang, dachte ich respektlos. Dann wäre alles komplett.
Der Vampir trug aber keinen Umhang, und seine Macht traf mich mit der Heftigkeit eines Stromschlages. Wow. Wer er auch ist, er hat ordentlich Power.
»Ahnherr«, sagte Bones und trat vor. »Danke, dass du gekommen bist.«
In menschlichen Jahren wirkte Mencheres nicht älter als dreißig. Er hatte langes schwarzes Haar und anthrazitfarbene Augen; seine Adlernase und die leicht getönte Haut ließen erahnen, dass er wohl irgendwo aus dem Nahen Osten stammte. Aber seine Energie war es, die mich verblüffte. Eine derart knisternde Aura hatte ich noch nie gespürt. Kein Wunder, dass Bones glaubte, Ian würde sich nicht mit Mencheres anlegen wollen. Jetzt, da ich spürte, wie stark er war, vermutete ich das auch.
»Bones«, sagte Mencheres und schloss meinen Geliebten in die Arme. »Wir haben uns zu lange nicht gesehen.«
Okay, wenigstens klang er freundlich.
Bones wandte sich mir zu. »Das ist Cat.«
Weil ich nicht wusste, was die Etikette in diesem Fall vorschrieb, trat ich vor und streckte die Hand aus. Mencheres ergriff sie mit angedeutetem Lächeln. Kaum hatte er mich berührt, wollte ich auch schon wieder die Hand zurückziehen. Wisch! Es war, als hätte ich mit feuchten Fingern in eine Steckdose gegriffen. Ich brachte einen ganz leichten Händedruck zustande, dann ließ ich los. Nur mit allergrößter Selbstbeherrschung unterdrückte ich den Impuls, mir die Taubheit aus den Fingern zu schütteln. Ich würde Bones später einmal fragen, wie alt Mencheres genau war. Einige tausend Jahre bestimmt.
Als alle Höflichkeiten ausgetauscht waren, kam Bones gleich zum Punkt.
»Ich werde mich von Ians Sippe lossagen«, erklärte er. »Ian will Cat, und sie will ein Mitglied seiner Sippe töten. Du verstehst also, warum ich ihm die Treue aufkündigen und Oberhaupt meiner eigenen Sippe werden muss.«
Mencheres' Blick richtete sich auf mich. »Glaubst du wirklich, in deinem Leben würde sich irgendetwas zum Besseren wenden, wenn du deinen Vater tötest?«
Auf diese Frage war ich nicht gefasst gewesen, meine Antwort kam also etwas stockend.
»Äh, ja. Ganz bestimmt sogar. Erstens müsste ich mir dann keine Sorgen mehr darüber machen, ob vielleicht wieder irgendein Killer hinter mir her ist, und zweitens glaube ich, es wäre mir eine ziemlich große Befriedigung.«
»Rachsucht ist die schalste aller Empfindungen«, entgegnete Mencheres geringschätzig.
»Besser als aufgestaute Wut«, schoss ich zurück.
»Ich habe nicht gesagt, dass es ihr Vater ist, den sie umbringen will«, warf Bones mit sanfter Stimme ein. »Woher hast du das gewusst, Ahnherr?«
Ja, woher eigentlich? Ich zog die Augenbrauen hoch. Mencheres zuckte mit den Schultern.
»Das weißt du doch längst.«
Bones war das anscheinend Antwort genug.
Mir nicht. » Was jetzt?«, hakte ich nach.
»Mencheres sieht Dinge«, erklärte mir Bones. »Erscheinungen, Gesichte, Zukunftsvisionen. Das gehört zu seinen Fähigkeiten.«
Klasse. Wir mussten einen Vampir-Guru dazu überreden, für uns Partei zu ergreifen. Wenn er schon in die Zukunft sehen konnte, wusste er ja vielleicht auch schon, ob unser Vorhaben eine gute Idee war oder nicht.
»Haben Sie irgendwelche Börsentipps für uns?« Ich konnte mir die Frage nicht verkneifen. »Die staatlichen Gehälter sind nicht gerade üppig.«
»Willst du sie zu deiner Untergebenen machen?«, wollte Mencheres von Bones wissen. Mich schien er gar nicht gehört zu haben. »Wolltest du dich deshalb im Geheimen mit mir treffen? Um meine Unterstützung zu erbitten, falls es ihretwegen
/um Krieg mit Ian kommen sollte?«
»Ja«, antwortete Bones ohne Zögern, während ich mit der Versuchung zu kämpfen hatte, Mencheres ein
Müsstest-du-das-nicht-längst-wissen-großer-Zampano?
entgegenzuschleudern.
Der Besagte warf mir einen Blick zu, der mich unbehaglich von einem Fuß auf den anderen treten ließ. Mensch, das hatte ich doch hoffentlich nicht laut gesagt. Bones seufzte. »Kätzchen, ich
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