Kuss der Wölfin 03 - Die Begegnung
rüber.
„Hey.“
„Hey.“
„Gehen wir?“ Sam nickte. Schweigend fuhren wir mit dem Fahrstuhl nach oben in den siebten Stock. Würde jetzt nichts zwischen uns stehen, wären wir mit größter Wahrscheinlichkeit schon im Aufzug übereinander hergefallen und hätten im Zimmer direkt weitergemacht. So standen wir wie zwei Fremde im Aufzug oder wie ein Pärchen, das sich nichts mehr zu sagen hatte. Erst an der Zimmertür ergriff Sam das Wort.
„Ich liebe dich, Anna, verstehst du? Und ich möchte dich nicht verlieren.“ Ich hielt die Karte an die Tür, wartete, bis es piepte, und öffnete.
„Sam, ich liebe dich auch. Wie kannst du nur denken, dass es nicht so ist? Glaubst du, wenn ich dich verwandele …“
„Ich weiß, dass du es nicht kannst. Wieso kommst du darauf, dass ich von dir verlangen würde, es zu tun?“
Ich betrat das Zimmer, schmiss meinen Rucksack in die Ecke und hockte mich auf das Bett.
„Ja, okay, dass es eben Adam tut.“ Ich war schon wieder genervt. Keine guten Voraussetzungen für ein klärendes Gespräch. „Denkst du, wenn du ein Gestaltwandler wärest, würde uns nichts mehr trennen? Es wäre eine Garantie auf eine Liebe für alle Zeiten?“ Sam setzte sich neben mich, spielte mit seinen Fingern, sah mich nicht an.
„Naja. Ein bisschen vielleicht. Aber das ist nicht der einzige Grund. Ich möchte dich nicht verlieren, Anna. Ich spüre die Verbundenheit zwischen uns. Ich brauche dich in meiner Nähe …“
„Ach ja? Wieso bist du dann heute nicht mit mir geflogen? Du weißt, dass ich Flugangst habe“, gab ich schnippisch zurück. Ich seufzte, nahm seine Hand in meine. „Okay, das war nicht fair. Sorry.“
„Ich bin verletzt. Verwirrt, verliebt, keine Ahnung … ach, ich weiß auch nicht.“ Plötzlich stand er auf, sah aus dem Fenster auf die wahrscheinlich aufregendste Stadt der Welt. Die Hochhäuser umrahmten unser Hotel, auf der rechten Seite war ein Teil des Empire State Buildings zu sehen.
„Weißt du, Sam, ehrlich gesagt verstehe ich dich nicht. Bei normalen Paaren gibt es auch immer ein Risiko, den anderen zu verlieren. Ob durch Tod oder …“
„Du hast leicht reden. Du lebst ja schon lange genug und vermutlich hast du einige um dich herum sterben sehen. Für mich ist das nicht normal. Der Tod.“
„Meine Mutter ...“, begann er zögernd, „es war einen Tag vor meinem zehnten Geburtstag. Sie hatte einen tödlichen Autounfall und ich saß mit im Wagen.“ Ich schloss die Augen. Das musste schrecklich gewesen sein.
„Es war in einem Parkhaus. Wir waren in der Stadt und haben meinen Geburtstagskuchen abgeholt. Ein schwarzer Mercedes hat uns frontal gerammt.“ Ich hielt den Atem an. Wie musste es für ein zenjähriges Kind sein, auf so brutale Art die Mutter zu verlieren? Ich konnte es mir nicht vorstellen. Ich hatte ja nie eine Mutter gehabt.
„Sie starb vor meinen Augen. Ich konnte nichts tun. Ich saß hinten, weil sie meinte, ich wäre noch zu klein, um vorne zu sitzen, und wenn wir einen Unfall hätten, würde mir wenigstens nichts passieren. Glassplitter flogen durch das Auto. Daher habe ich auch meine Narbe.“ Er blickte mich an und deutete auf die kleine Narbe oberhalb seiner Lippe, die eine, von der er mir nichts hatte erzählen wollen. Jetzt verstand ich ihn. Wahrscheinlich hätte ich mich auch nie wieder an diesen Tag erinnern wollen.
„Sie haben den Täter nie gefunden und mein Vater hat sich verändert. Er hat nicht darüber gesprochen, mich nicht getröstet, war plötzlich wochenlang weg. Ich habe bei Oma gewohnt, versucht, weiterzuleben, war bei einer Psychiaterin, und dann war da Alexa. Das kleine pummelige, rothaarige Mädchen aus meiner Klasse. Und sie war für mich da. Sie war immer für mich da, wo eigentlich mein Vater hätte sein müssen.“ Die Tränen flossen über seine Wangen. In meinem Magen wurde der Klumpen immer größer. Natürlich, er hatte Angst, mich zu verlieren. Aber er würde mich nicht verlieren. Ich würde ihn verlieren.
„Alexa und ich haben monatelang recherchiert. Im Internet, Zeitungen, später sind wir gemeinsam nach Frankfurt gefahren, haben uns den Tatort angesehen und waren am Brunnen, wo ich ihn gesehen habe.“ Jetzt war ich verwirrt. Wen gesehen? Wovon redete er? Hatte er den Täter gesehen? Wieso hatte die Polizei nichts unternommen?
„Sam. Wen hast du gesehen?“
„Da war ein Mann. Meine Mutter war in der Konditorei. Ich stand am Brunnen und habe mir die Leute angeguckt. Und dann stand er da, an
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