Kuss des Apollo
Ist ja fabelhaft. Und Sie wollen mir im Ernst verkaufen, dass diese Geri jetzt die Alkmene spielt.«
»So ist es«, sagte Naumann im Gegensatz zu Frobenius in ruhigem Ton.
»Wer führt denn eigentlich Regie? Ich werde überhaupt nicht mehr gefragt. Und Sie machen das einfach mit. Ihr müsst doch alle übergeschnappt sein. Hat die Conradi ihr nicht die Augen ausgekratzt?«
»Keineswegs. Die Frauen sind sehr freundlich miteinander umgegangen.«
»Miteinander umgegangen«, wiederholte Frobenius gereizt. »Wie reden Sie denn eigentlich?«
»Ich kann es nicht anders ausdrücken«, sagte Naumann. »Wir sind alle sehr freundlich miteinander umgegangen. Kein lautes Wort, kein Streit. Das erste Mal, seit wird hier sind, dass es so gelaufen ist. Geraldine war wunderbar. Burckhardt war großartig. Das ging alles wie von selbst.«
»Ging wie von selbst, aha«, wiederholte Frobenius die Worte, die Naumann so ruhig und friedfertig aussprach. »Und was geschieht mit den Innenaufnahmen, die wir in München schon gedreht haben?«
»Die müssen wir noch mal drehen.«
»Ist ja prima. Kann gar nicht genug kosten. Und was sagt Burckhardt dazu?«
»Ihm gefällt seine neue Partnerin. Er hat sie sehr ausführlich geküsst. Er wird ein sehr leidenschaftlicher Zeus sein, das weiß ich jetzt schon.«
»Das wissen Sie jetzt schon«, sagte Frobenius und merkte nicht, dass er bereits zum dritten Mal die Worte seines Aufnahmeleiters wie ein Papagei nachplapperte.
»Ich freue mich auf die Arbeit mit der neuen Alkmene«, sagte Naumann nun auch noch.
Frobenius schwieg. Er wischte sich mit einem Tuch über die Stirn. Er schwitzte plötzlich, obwohl es an diesem Tag in Berlin regnete.
»Bronski sagt das auch«, fügte Naumann hinzu. »Sie hat ein traumhaft schönes Gesicht, findet er. Und ein wunderbares Timbre.«
»Ist es möglich, dass euch die Sonne das Hirn verbrannt hat? Sie haben mir gestern berichtet, es sei sehr heiß.«
Nun lachte Naumann von der Insel Naxos her.
»Das stimmt. Ziemlich heiß. Bis auf die Wolke.«
»Wolke? Was für eine Wolke?«
»Heute zog eine große dunkle Wolke über den Himmel. Das ist vielleicht der Grund. Wir stehen alle unter einer Art Schock.«
»Das kommt mir auch so vor«, beendete Frobenius das Gespräch, ohne sich näher nach der Wolke zu erkundigen.
Er überlegte, ob er Jana anrufen sollte, um ihr den ganzen Blödsinn zu berichten. Sie befand sich zurzeit mit den Söhnen auf Sylt. Aber warum sollte er sie aufregen.
Er musste das erst einmal selbst sehen und hören.
Er ging ins Vorzimmer und beauftragte seine Sekretärin, ihm für den nächsten Tag einen Flug nach München zu buchen. Egal, wann. Er wollte vor der übergeschnappten Filmcrew eintreffen.
Wie immer, wenn sich Frobenius in München aufhielt, wohnte er bei Charlotte Gadomsky. La Divina, so hatte man in der Branche die Chefin der Diova-Film genannt, ein Ausdruck, gemischt aus Anerkennung, Bewunderung und ein wenig Spott, denn sie herrschte gleich einer Göttin über Produzenten, Regisseure, Schauspieler und alle anderen, die mit der Herstellung von Filmen zu tun hatten. Nein, sie herrschte nicht nur, sie kümmerte sich auch um die Menschen, mit denen sie arbeitete. Wer von ihr fallen gelassen wurde, der hatte es verdient.
Für Frobenius war sie nicht nur die erste große Liebe seines Lebens gewesen, durch sie hatte sich sein Leben grundlegend verändert, vom Journalismus kam er zum Film. Dass er so dumm war, eine eigene Produktionsfirma zu gründen, dafür konnte sie nichts. Aber wer hätte damals geahnt, mit welcher Radikalität das Fernsehen die Produktion von Filmen beeinflussen würde, wie ausgeliefert der Produzent dem Fernsehen war und damit dem erbärmlichen Niedergang von Geschmack und Niveau.
Das war natürlich wieder das erste Thema, mit dem er La Divina plagte, als er abends im milden Abendlicht dieses Augusttages bei ihr auf der Terrasse saß, vor sich eine weite sattgrüne Rasenfläche, die von hohen Bäumen begrenzt wurde.
James servierte die Vorspeisen.
»Lass es gut sein, Herbert«, sagte Charlotte Gadomsky. »Ich weiß es. Mich interessieren die Fernsehprogramme nicht. Ich habe Videos von den besten Filmen, deutsche, amerikanische, französische. Wenn ich mich vor den Kasten setze, sehe ich mir an, was mir beliebt.«
»Du hast leicht reden.«
»Das ist der Vorteil des Ruhestands.«
Sie war nun eine alte Dame mit silberweißem Haar und einem immer noch schönen Gesicht. Sie hatte sich schon Ende der
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