Kuss im Morgenrot: Roman
selbstsüchtig.« Sie machte eine bedeutungsvolle Pause. »Genauso wie ich. Und das ist der Grund, warum ich nie auf die Idee kommen würde, Sie zu ändern.«
Faszinierend. Für ein gerade mal zwanzigjähriges Mädchen besaß sie ein ganz und gar außergewöhnliches Selbstbewusstsein.
»Wann immer Sie das Bedürfnis haben, fremdzugehen«, fuhr Vanessa fort, »ist das für mich in Ordnung. Ich würde mich nicht beschweren. Vermutlich würde ich es nicht einmal merken, weil ich ähnlich beschäftigt wäre. Wir würden eine ausgeklügelte Ehe führen. Ich kann Ihnen Kinder schenken, um zu gewährleisten, dass der Ramsay-Titel und das Anwesen in Ihrer Abstammungslinie bleiben. Außerdem kann ich …«
»Miss Darvin«, unterbrach Leo sie vorsichtig, »bitte sprechen Sie nicht weiter.« Die Ironie der Situation blieb ihm nicht verborgen. Sie schlug ihm eine reine Zweckehe vor, frei von vertrackten Wünschen und Gefühlen. Das genaue Gegenteil von der Ehe, die er sich mit Catherine wünschte.
Vor nicht allzu langer Zeit wäre er vielleicht darauf angesprungen.
Leo lehnte sich in seinem Sessel zurück und betrachtete sie mit geduldiger Gleichgültigkeit. »Ich streite die Berichte meiner vergangenen Sünden nicht ab. Aber trotz allem … oder vielleicht gerade deshalb … sagt mir die Vorstellung von einer ausgeklügelten Ehe nicht im Geringsten zu.«
Vanessas regloser Gesichtsausdruck verriet ihm, dass er sie überrascht hatte. Sie nahm sich Zeit für ihre Antwort. »Vielleicht sollte sie Ihnen zusagen, Mylord. Eine bessere Frau würde Ihretwegen enttäuscht und beschämt sein und anfangen sie zu hassen. Wohingegen ich « – und dabei berührte sie mit einer geübten Geste ihre Brust und lenkte seine Aufmerksamkeit geschickt auf ihren perfekten runden Busen – »niemals irgendwelche Erwartungen an Sie hätte.«
Das Arrangement, das Vanessa Darvin vorschlug, war ein perfektes Rezept für aristokratische Häuslichkeit. So unglaublich leidenschaftslos und zivilisiert.
»Aber ich brauche jemanden, der etwas von mir erwartet«, hörte er sich selbst sagen.
Die Wahrheit, die sich dahinter verbarg, durchzuckte ihn wie ein Blitz. Hatte er das wirklich gerade gesagt? Und meinte er es auch?
Ja. Guter Gott.
Wann und wie hatte er sich so sehr verändert? Es war eine mörderische Anstrengung gewesen, die lebens- und selbstverachtenden Exzesse hinter sich zu lassen. Irgendwann in dieser ganzen Zeit hatte der Wunsch zu sterben seine Gültigkeit verloren, was nicht zwangsläufig bedeutete, dass er den Wunsch hatte zu leben. Aber so war es erst einmal eine Weile gut gewesen.
Bis Catherine in sein Leben getreten war. Sie hatte ihn aufgeweckt wie ein Spritzer kaltes Wasser. Sie hatte in ihm den Wunsch geweckt, ein besserer Mensch zu werden, nicht nur für sie, sondern auch für sich selbst. Er hätte wissen müssen, dass sie ihn um den Verstand bringen würde. Und wie sie es ihm gegeben hatte! Und er liebte es. Liebte sie . Seine kleine bebrillte Kriegerin!
Ich werde Sie nicht fallen lassen , hatte sie an dem Tag, als er sich bei der Ruine verletzt hatte, zu ihm gesagt. Ich werde nicht zulassen, dass Sie noch einmal diesem Teufelszeug verfallen. Sie hatte es ernst gemeint, und er hatte ihr geglaubt, und das war der Wendepunkt gewesen.
Wie sehr hatte er sich dagegen gewehrt, jemanden auf diese Weise zu lieben … und doch war es wunderbar berauschend. Er fühlte sich, als hätte jemand seine Seele in Brand gesteckt, jeder einzelne Teil von ihm brannte vor ungeduldiger Freude.
Als ihm bewusst wurde, dass sich seine Gesichtsfarbe verändert hatte, holte er tief Luft und ließ sie langsam wieder herausströmen. Ein Lächeln zuckte um seine Lippen, als er darüber nachdachte, wie sonderbar ungünstig es doch war, dass er sich über die Liebe zu einer Frau bewusst wurde, während er gerade von einer anderen ein Angebot bekommen hatte.
»Miss Darvin«, sagte er vorsichtig, »ich fühle mich von Ihrem Vorschlag sehr geehrt. Aber Sie wollen den Mann, der ich war. Nicht den Mann, der ich jetzt bin.«
Die dunklen Augen blitzten böse auf. »Sie behaupten, sich gebessert zu haben? Sie beabsichtigen Ihre Vergangenheit zu verleugnen?«
»Keineswegs. Aber ich trage mich mit der Hoffnung auf eine bessere Zukunft.« Er machte eine gezielte Pause. »Ungeachtet des Ramsay-Fluchs.«
»Sie begehen einen Fehler.« Vanessas hübsche Züge verhärteten sich. »Ich wusste, dass Sie kein Gentleman sind, aber ich habe Sie nicht für einen Dummkopf
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