Kuss im Morgenrot: Roman
ganz anders: Ihm hatte alles sogar allzu viel ausgemacht. »Was war der Anlass aufzuhören?«, fragte sie vorsichtig.
»Ich kam an einen Punkt, an dem der Gedanke weiterzumachen verdammt noch mal zu anstrengend war. Ich hatte die Pistole schon in der Hand. Es war Cam, der mich letztlich daran hinderte abzudrücken. Er erzählte mir von dem Glauben der Roma, dass sich der Geist des Verstorbenen in ein Gespenst verwandelt, wenn man zu sehr um ihn trauert. Ich müsse Laura gehen lassen, sagte er. Ihr zuliebe.« Dann sah er sie mit seinen umwerfenden blauen Augen an. »Und das tat ich dann auch. Ich ließ sie gehen. Und ich schwor mir, das Opium aufzugeben. Seither habe ich das Dreckszeug nie wieder angerührt. Lieber Gott, Cat, Sie wissen nicht, wie hart das war. Es hat mich alle Kraft gekostet. Wenn ich auch nur einmal zu dem Zeug zurückkehre … könnte ich in einer Grube versinken, aus der ich niemals mehr herausklettern kann. Dieses Risiko kann ich nicht eingehen. Es ist völlig unmöglich.«
»Leo …« Sie sah, wie er vor Überraschung blinzelte. Sie hatte ihn zum ersten Mal mit seinem Namen angesprochen. »Nehmen Sie das Laudanum«, sagte sie. »Ich werde Sie nicht fallen lassen. Ich werde nicht zulassen, dass Sie noch einmal diesem Teufelszeug verfallen.«
Um seinen Mund zuckte es. »Sie bieten mir an, die Verantwortung für mich zu übernehmen?«
»Ja.«
»Ich bin zu viel für eine einzelne Person. So viel können Sie nicht tragen.“
»Doch«, erwiderte Catherine entschlossen, »das werde ich.«
Ein freudloses Lachen entfuhr ihm, dann starrte er sie lange und sonderbar an. Ein bisschen so, als müsste er sie eigentlich kennen, aber ohne zu wissen, woher.
Catherine konnte kaum glauben, dass sie auf seinem Bettrand saß. Sie konnte nicht glauben, dass sie tatsächlich die Hand des Mannes hielt, gegen den sie so unerbittlich angekämpft hatte. Sie hatte nie für möglich gehalten, dass er sich ihr freiwillig öffnen würde.
»Vertrauen Sie mir«, drängte sie.
»Nennen Sie mir einen einzigen guten Grund, warum ich das tun sollte.«
»Weil Sie es können.«
Leo schüttelte leicht den Kopf, hielt aber ihrem Blick stand. Zuerst dachte sie, er würde ihr Angebot ablehnen. Doch wie sich herausstellte, schüttelte er den Kopf vor lauter Erstaunen über sein eigenes Handeln. Er gestikulierte in Richtung des kleinen Glases auf dem Nachttisch. »Geben Sie her«, murmelte er. »Bevor ich mich eines Besseren besinne.« Sie reichte ihm das Glas, und er trank es zügig in ein paar Schlucken aus. Ihn schauderte vor Ekel, als er ihr das leere Glas zurückgab.
Sie warteten gemeinsam, bis die Medizin ihre Wirkung entfaltete.
»Ihre Hände …« Leo streckte die Hand nach ihren verbundenen Fingern aus. Mit der Daumenspitze streichelte er zärtlich über ihre Nägel.
»Nichts Ernstes«, flüsterte sie. »Nur ein paar Kratzer.«
Die blauen Augen wurden trüb und blicklos, bis er sie schloss. Das schmerzverzerrte Gesicht entspannte sich. »Habe ich mich eigentlich schon bei Ihnen dafür bedankt«, fragte er, »dass Sie mich aus der Ruine herausgeholt haben?«
»Das ist nicht nötig.«
»Wie auch immer … danke.« Er nahm ihre Hand und hielt sie sich mit der Handfläche an die Wange. Seine Augen blieben geschlossen. »Mein Schutzengel«, sagte er. Seine Aussprache wurde immer undeutlicher. »Ich glaube, es ist das erste Mal in meinem Leben, dass ich einen habe.«
»Und wenn Sie einen hatten«, erwiderte sie, »dann sind Sie wahrscheinlich zu schnell gewesen, als dass er mit Ihnen hätte mithalten können.«
Er gab ein leises belustigtes Grunzen von sich.
Das Gefühl seiner rasierten Wange unter ihrer Hand erfüllte sie mit großer, unbändiger Zärtlichkeit. Sie musste sich erst in Erinnerung rufen, dass ihm das Opium gerade die Sinne benebelte. Dass er nicht Herr seiner selbst war. Die Innigkeit zwischen ihnen war nicht real. Dennoch hatte sie das deutliche Gefühl, als erwachse etwas völlig Neues aus den Trümmern ihrer früheren Streitbeziehung. Ein prickelndes Gefühl von Intimität durchflutete sie, als sie sein Schlucken spüren konnte.
Sie verharrten in dieser Haltung, bis ein Geräusch, das von der Tür her kam, Catherine aufschrecken ließ.
Cam betrat den Raum und warf einen Blick auf das leere Glas. Er nickte Catherine anerkennend zu. »Gut gemacht«, sagte er. »Das macht es für Ramsay um einiges leichter. Und erst für mich.«
»Du Lümmel!«, erwiderte Leo sanft und zwang sich, die Augen zu
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