Kuss im Morgenrot: Roman
öffnen, als sich Cam und Merripen wieder dem Bett näherten. Amelia folgte ihnen mit einem Armvoll Waschlappen und Handtüchern. Widerwillig riss sich Catherine von Leo los und ging zur Tür.
Cam blickte mit einer Mischung aus Sorge und Zärtlichkeit auf seinen Schwager herab. Das grelle Sonnenlicht, das zum Fenster hereinfiel, glitt über sein glänzendes schwarzes Haar. »Entweder mache ich es selber, oder wir lassen einen Gadjo -Doktor kommen. Wie es dir lieber ist, phral .«
»Um Gottes willen, bitte keinen Arzt! Jeder Handgriff von ihm wäre schlimmer als dein Dilettantismus. Er würde garantiert wieder mit seinen verdammten Blutegeln hier anrücken.«
»Blutegel kommen mir nicht ins Haus«, entgegnete Cam, als er vorsichtig die Kissen hinter Leos Rücken herauszog. »Ich habe schreckliche Angst vor den Dingern.«
»Wirklich wahr?«, fragte Amelia. »Das wusste ich gar nicht.«
Cam half Leo, die Matratze auf den Boden zu legen. »Als kleiner Junge, als ich noch bei meinem Stamm lebte, watete ich einmal mit ein paar anderen Kindern in einem Teich, der von einer Quelle gespeist wurde. Als wir wieder herauskamen, waren unsere Beine über und über mit Blutegeln übersät. Ich kreischte wie ein Mädchen, nur dass die Mädchen viel ruhiger waren als ich.«
»Armer Cam«, sagte Amelia lächelnd.
»Armer Cam?«, wiederholte Leo entrüstet. »Was ist mit mir?«
»Angesichts meines Verdachts, dass du das alles nur ausgeheckt hast, um dich vor der Steckrübensaat zu drücken«, erwiderte Amelia, »sträube ich mich, dir allzu viel Sympathie zu schenken.«
Leo antwortete mit zwei gewählten Worten, die ihr ein Grinsen entlockten.
Amelia zog ihrem Bruder die Bettlaken bis zur Hüfte hoch und steckte ihm vorsichtig ein paar Handtücher unter die verletzte Schulter. Der Anblick seines schlanken muskulösen Oberkörpers – und die faszinierende Brustbehaarung – bewirkte, dass Catherine ganz flau im Magen wurde. Sie zog sich noch ein Stück weiter hinter die Zimmertür zurück, denn sie wollte nicht gehen, wenngleich sie wusste, dass es sich nicht schickte zu bleiben.
Cam drückte seiner Frau einen Kuss auf die Stirn und schob sie sanft vom Bett fort. »Warte du dort drüben, monisha. Wir brauchen hier jetzt mehr Platz.« Er wandte sich zum Instrumententablett neben dem Bett.
Catherine erbleichte, als sie das Klappern von Messern und anderen Metallgegenständen vernahm.
»Wollt ihr nicht erst eine Ziege opfern oder einen Stammestanz aufführen?«, schlug Leo vor. Er wirkte benommen. »Oder wenigstens etwas singen?«
»Das haben wir alles schon unten erledigt«, antwortete Cam. Er reichte Leo ein Stück von einem Lederriemen. »Steck dir das zwischen die Zähne und versuche, nicht so laut zu brüllen, während wir arbeiten. Mein Sohn schläft gerade.«
»Bevor ich das Ding in den Mund nehme«, sagte Leo, »würde ich gerne wissen, wo es zuletzt gesteckt hat?« Er hielt inne. »Bei näherem Nachdenken … ich will es gar nicht wissen.« Er klemmte sich den Riemen zwischen die Zähne, dann nahm er ihn kurz wieder heraus, um hinzuzufügen: »Es wäre mir recht, wenn ihr ohne Amputationen auskommen könntet.«
»Sollte es dazu kommen«, entgegnete Merripen und tupfte vorsichtig die verletzte Schulter ab, »dann ist es gewiss keine Absicht.«
»Bist du bereit, phral ?«, hörte sie Cam vorsichtig fragen. »Halt ihn fest, Merripen. Gut. Bei drei geht’s los.«
Amelia gesellte sich zu Catherine auf den Flur, das Gesicht angespannt. Sie schlang die Arme um ihre Körpermitte.
Sie hörten Leos tiefes Stöhnen, gefolgt von einem Wortschwall auf Romani zwischen Cam und Merripen. Die fremde Sprache hatte etwas Beruhigendes.
Es war offensichtlich, dass die Prozedur trotz des Opiums nur schwer zu ertragen war. Jedes Mal, wenn Catherine ein Ächzen oder einen anderen qualvollen Laut aus Leos Mund vernahm, spürte sie, wie sich jeder Muskel ihres Körpers anspannte und ihre geschundenen Finger sich ineinander verkrampften.
Nach zwei oder drei Minuten wagte Amelia einen Blick ins Zimmer. »Sind Splitter in der Wunde?«, wollte sie wissen.
»Nicht viele, monisha «, antwortete Cam. »Es hätte weit schlimmer sein können, aber …« Er hielt inne, als Leo einen erstickten Laut ausstieß. »Tut mir leid, phral . Merripen, nimm die Pinzette und … ja, genau da.«
Amelias Gesicht war blass, als sie sich wieder Catherine zuwandte. Und sie überraschte sie, indem sie den Arm nach ihr ausstreckte und sie zu sich heranzog,
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