Kusswechsel
störenden Hindernisse unter den Reifen, die darauf hingedeutet hätten, dass ich ein menschliches Wesen überfahren hatte, spürte ich nicht. Das deutete ich als ein gutes Zeichen. Ich steuerte zurück auf die Comstock und kam mit quietschenden Reifen zum Stehen, um einen Gang einzulegen. Drei Kerle segelten von meinem Dach herunter. Zwei prallten von dem rechten vorderen Kotflügel ab und landeten auf der Straße. Einer knallte auf die Motorhaube und bekam einen Scheibenwischer zu fassen.
»Jetzt bloß nicht anhalten«, schrie Lula. »Und mach dir keine Gedanken wegen der Kühlerfigur. Die verlieren wir sowieso bei der nächsten Kurve.«
Ich haute den Vorwärtsgang rein und hob ab. Hinter mir ging ein Wahnsinnslärm los. Eine irre Mischung aus Geschrei, Schüssen und Gelächter. Der Kerl auf der Motorhaube starrte mich an, die Pupillen zu Münzgröße geweitet.
»Ob der ein Drogenproblem hat?«, fragte sich Lula.
Ich stemmte mich gegen die Hupe, aber unsere Motorhaubenschönheit verzog keine Miene.
»Als hätte man ein Insekt an seiner Windschutzscheibe kleben«, sagte Lula. »Eine fette, hässliche, mit Drogen voll gepumpte Gottesanbeterin.«
Ruckartig zog ich den Buick nach rechts in die Seventh Street, so dass er fast eine volle Drehung machte, und das Insekt flog stumm durch die Atmosphäre und krachte in ein verrostetes Kleinbuswrack, das am Straßenrand abgestellt war. Als ich auf die Stark Street kam, konnte ich wieder durchatmen.
»Siehst du, hat doch prima geklappt«, sagte Lula. »Schade nur, dass wir den roten Teufel nicht gefunden haben.«
Ich schielte sie von der Seite an. »Willst du morgen noch mal hinfahren und nach ihm suchen?«
»Morgen geht schlecht.«
Ich rief Connie an und sagte ihr, dass wir auf dem Weg zum Büro seien, und dann bat ich sie, einen Suchlauf für mich zu starten.
»Kannst du unsere Akten nach Leuten durchforsten, die in einem bestimmten Bezirk wohnen?«, fragte ich sie.
»Ich kann unter Postleitzahlen suchen und unter Straßennamen. Solange das Gebiet nicht allzu groß ist, kann ich auch straßenweise suchen.«
Ich fühlte mich verantwortlich für das, was Eddie zugestoßen war, und ich dachte mir, dass der rote Teufel bestimmt vorbestraft wäre. Fahndungsfotos im Hauptquartier der Polizei zu sichten, hatte ich abgelehnt. Das hatte ich bei anderen Fällen schon mal durchexerziert, und es war von grandioser Nutzlosigkeit gewesen. Sieht man sich Hunderte Porträts von Tätern an, verschwimmt einem mit der Zeit das Gesicht des Verdächtigen vor Augen. Viertel für Viertel abzusuchen würde den Kreis der Verdächtigen erheblich einschränken.
Connie kramte gerade Akten hervor, als Lula und ich ins Büro hereingerauscht kamen. »Ich habe siebzehn Treffer für das eingegrenzte Areal gelandet«, sagte sie. »Kein besonders auffälliger Klient darunter. Ist nicht gerade unser heißestes Viertel.«
Lula durchsuchte einen Aktenstapel auf Connies Schreibtisch. »He, da ist ja der Kerl, der auf deiner Motorhaube hängen geblieben ist«, sagte Lula und hielt mir ein Foto hin.
Connie packte sich eine Akte und stieß die Schublade mit dem Fuß zu. »Das ist Eugene Brown. Der ist so oft festgenommen worden, dass man fast sagen könnte, wir sind alte Bekannte. Man hat ihn bisher allerdings nur wegen Drogenbesitzes drangekriegt, mehr nicht.«
»Hier steht, wir hätten eine Kaution für ihn gestellt. Er war wegen bewaffneten Raubüberfalls und Totschlags durch Überfahren mit einem Fahrzeug angeklagt.«
»Wenn Eugene in eine Sache verwickelt ist, tauchen die Augenzeugen ganz gerne unter«, sagte Connie. »Und Aussagen, die unter Eid gemacht wurden, werden haufenweise widerrufen. Was hatte Eugene überhaupt auf deiner Motorhaube zu suchen?«
»Wir wollten nur mal die Comstock Street abfahren …«, fing Lula an.
Connies Augen weiteten sich. »Die Comstock Street? Auf welcher Höhe?«
»Ab der Third Street.«
»Ihr müsst lebensmüde sein. Das ist Slayerland.«
»Wir sind nur durchgefahren«, sagte Lula.
»Ihr beide? Mit welchem Auto? Dem Buick? Dem himmelblau-weißen Buick? Man fährt ab der Third Street nicht mit einem himmelblauen Buick die Comstock Street entlang. Das sind die Farben der Cuts. Man fährt nicht mit den Farben einer fremden Bande durch das Territorium der Comstocks.«
»Ja, gut, aber ich dachte nicht, dass sich das auch auf Autos erstreckt. Ich dachte, das gilt nur für Kleidung. Für Piratentücher, Hosen, Hemden und so«, sagte Lula. »Und überhaupt:
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