Kusswechsel
ich würde zu meinen Eltern gehen, aber das war geschwindelt. In Wahrheit hatte ich Joe verlassen, ohne mir das Ganze vorher gut zu überlegen.
Meine beste Freundin, Mary Lou, war verheiratet und hatte viele Kinder. Da gab es keinen Platz für mich. Lula wohnte in einem Kämmerchen. Da war also auch kein Platz.
Die Sonne ging unter, und langsam bekam ich Panik. Ich konnte in Rangers Truck schlafen, aber der hatte kein eingebautes Badezimmer. Und wenn ich mal auf die Toilette wollte, musste ich rüber zur Mobil-Tankstelle an der nächsten Straßenecke gehen. Und was war mit Duschen? In der Tankstelle gab es keine Dusche. Wie sollte ich den Sabber aus meinem Haar entfernen? Und was machte ich mit Rex? Ach, ist das alles traurig, dachte ich. Mein Hamster war obdachlos.
Ein blitzender schwarzer Lexus Geländewagen kam die Slater entlanggekrochen. Ich rutschte etwas tiefer in meinen Sitz und hielt die Luft an, während der Lexus weiterrollte. Durch die getönten Scheiben konnte man kaum etwas erkennen. Es konnte wer weiß wer am Steuer sein, redete ich mir ein. Vielleicht saß auch eine ganz reizende Familie in dem Lexus. Aber mein Magengrummeln sagte mir, dass es die Slayers waren.
Vor Morellis Haus hielt der Lexus an. Der Bass aus der Stereoanlage des Geländewagens wummerte über die Straße und pochte gegen meine Windschutzscheibe. Erst nach einer ganzen Weile bewegte sich der Lexus weiter.
Sie suchen nach mir, dachte ich. Und dann brach ich in Tränen aus. Alles war mir plötzlich zu viel, und ich tat mir selbst Leid. Ein Horde Bandenmitglieder war hinter mir her, die Polizei hatte Big Blue beschlagnahmt, und ich war bei Morelli ausgezogen … zum x-ten Mal.
Rex war aus seiner Suppendose hervorgekrochen, hockte in seinem Hamsterrad und nahm mit seinen kurzsichtigen Augen die neue Situation wahr.
»Sieh mich an«, bat ich Rex. »Ich bin ein Wrack. Ich bin hysterisch. Ich brauche einen Doughnut.«
Rex wurde ganz munter bei dem Wort. Für Doughnuts war Rex immer zu haben.
Ich rief Morelli auf meinem Handy an und sagte ihm das mit dem Lexus. »Ich wollte dir nur Bescheid geben«, sagte ich. »Sei vorsichtig, wenn du aus dem Haus gehst. Und stell dich lieber nicht ans Fenster.«
»Hinter mir sind sie nicht her«, sagte Morelli.
Ich nickte stumm vor mich hin und legte auf. Dann fuhr ich die paar hundert Meter zu Dunkin’ Donuts auf der Hamilton und bog in die Spur zum Autoschalter. Leben wir nicht in einem tollen Land? Man braucht nicht mal aus dem Auto auszusteigen, um sich einen Doughnut zu kaufen. Ich fand es schon deswegen gut, weil ich beschissen aussah. Außer den grasbeschmierten und zerrissenen Kleidern hatte ich vom vielen Weinen auch noch rot unterlaufene und verquollene Augen. Ich orderte ein Dutzend Doughnuts, stellte mich in die hinterste Ecke des Parkplatzes und stopfte mich voll. Zum Schluss gab ich Rex ein Stück von einem Marmeladendoughnut und einem Gewürzkürbisdoughnut ab. Kürbis, dachte ich, ist bestimmt gut für ihn.
Nach der halben Tüte Doughnuts war mir so schlecht, dass mir Morelli und die Gang egal sein konnten. »Ich habe zu viele Doughnuts gegessen«, sagte ich zu Rex. »Ich muss mich hinlegen oder aufstoßen.« Ich guckte auf mein T-Shirt. Auf meiner Brust war ein fetter Marmeladenfleck. Perfekt.
Der Motor war ausgeschaltet, und die einzige Anzeige, die blinkte, war die Wegfahrsperre. Ich drehte den Schlüssel um, und das Armaturenbrett leuchtete auf wie ein Weihnachtsbaum. Ich berührte einen der Knöpfe, und der GPS-Schirm öffnete sich. Nach einigen Sekunden baute sich eine Karte auf, die meinen Standort feststellte. Sehr schick. Ich berührte den Schirm, und diverse Befehle erschienen. Einer der Befehle lautete Rückroute. Wieder berührte ich den Schirm, und eine gelbe Linie führte mich von Dunkin’ Donuts zurück zu Morellis Haus.
Nur so zum Spaß fuhr ich vom Parkplatz hinunter und folgte den Anweisungen. Wenige Minuten später stand ich vor Morellis Haus. Interessant. Aber die Route hörte da nicht auf. Ich folgte ihr weiter, und nach einigen Häuserblocks wurde ich ganz aufgeregt, weil ich wusste, wohin die Reise ging – zur Polizeiwache. Wenn mich das Navigationssystem zur Polizeiwache brachte, überlegte ich, würde es als Nächstes vielleicht auch die Route zurückverfolgen, die Tank gefahren war, als er mir den Wagen herbrachte. Und wenn der Computer genug Speicherplatz hatte, bestand die Möglichkeit, dass es mich vielleicht sogar
noch
weiter brachte, bis
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