Kusswechsel
Überschreiten der Türschwelle drang ich in Rangers Privatsphäre ein. Und ich war nicht hierher gebeten worden. Das hier war eindeutig ein Einbruch. Es verstieß nicht nur gegen das Gesetz, es verstieß auch gegen die guten Sitten.
Wieder meldete sich die Abteilung für dumme Gedanken. Ja, sagte sie, stimmt, aber wie oft ist Ranger nicht schon in
deine
Wohnung eingebrochen. Meistens hat er dich mitten im Schlaf überrascht und dir einen Heidenschreck eingejagt. Kannst du dich an ein einziges Mal erinnern, bei dem er vorher geklingelt hat?
Vielleicht ein Mal, redete ich mir ein. Aber so sehr ich mich auch bemühte, dieses eine Mal fiel mir nicht mehr ein. Ranger schlüpfte in fremde Wohnungen, als würde er durchs Schlüsselloch kriechen.
Ich holte tief Luft und trat über die Schwelle. »Hallo?«, sagte ich leise. »Ist jemand zu Hause? Huhu.«
Nichts. Kein Ton. Die Diele war erleuchtet, die Wohnung selbst dunkel. Ich befand mich in einem kleinen flurartigen Foyer. An der Wand rechts war ein antikes Sideboard aus Holz. Auf dem Sideboard stand ein Tablett, das wahrscheinlich für Schlüssel gedacht war, also legte ich Rangers Schlüssel hinein. Ich tätigte den Schalter neben der Tür, und zwei elektrische Kerzenleuchter, ebenfalls auf dem Sideboard, flammten auf.
Das Foyer war durch einen Torbogen begrenzt, und dahinter öffnete sich das Wohnzimmer. Küche und Essraum lagen zur Rechten des Wohnzimmers, zur Linken das Schlafzimmer. Die Wohnung war größer als meine und um einiges feudaler eingerichtet. Ranger hatte richtige Möbel, teure Möbel. Es war ein Stilgemisch aus antik und modern, viel Holz und Leder, auf der Damentoilette im Eingangsbereich auch Marmor.
Schwer vorstellbar, dass Ranger in diesen Räumen in Kampfmontur herumlief. Die Wohnung hatte etwas Männliches, das schon, aber eher im Sinne von Kaschmirpullover und italienischen Halbschuhen, statt Kopfgeldjägerausrüstung. Na gut, vielleicht auch Jeans und Boots und Kaschmir, aber mehr auch nicht. Die Jeans müssten dann schon Edeljeans sein.
Die Küche aus Edelstahl war für Feinschmecker gedacht. Ich warf einen Blick in den Kühlschrank: Eier, fettarme Milch, vier Flaschen Corona, ein Plastikbehälter mit Oliven und die üblichen Gewürze; im Gemüsefach Äpfel, Zitronen und Apfelsinen; in den Fächern für Milchprodukte Brie und Cheddar. Alle Töpfe und Regale waren makellos sauber. Im Gefrierfach nur Eiswürfel, sonst nichts. Spartanisch, würde ich sagen. Ich durchsuchte die Küchenschränke: Ungesüßtes Biomüsli, ein Glas Honig, eine ungeöffnete Schachtel Cracker, grüner Tee, eine Folientüte Kona-Kaffeebohnen, eine mit geräuchertem Lachs und eine Packung Tunfisch. Grausam: Kein Cap’n Crunch, keine Erdnussbutter, kein Kuchen von Entenmann. Wie konnte man nur so leben?
Ich durchstreifte das Wohnzimmer. Hier gab es eine kleine Sitzecke mit einem bequemen, gemütlichen Sofa und einem großen grünen Plasma-Fernsehschirm. Das Schlafzimmer ging vom Wohnzimmer ab. Doppelbett, perfekt gemacht. Vier übergroße Kissen mit Schonbezug, dazu passende cremefarbene Laken, besetzt mit drei schmalen Bändern aus dunkelbrauner Litze. Die Bettwäsche sah aus, als wäre sie gebügelt. Eine leichte Daunensteppdecke, die in einem farblich passenden dunkelbraunen Federbett steckte, war über das Bett gebreitet. Keine Tagesdecke. Am Fuß des Bettes eine Truhe für weitere Decken. Messinglampen mit schwarzen Schirmen auf den Nachttischen. Die Bezugsstoffe der Stühle und die Vorhänge waren in erdigen Farben gehalten. Überhaupt war alles sehr gedämpft und hatte Stil. Ich weiß gar nicht genau, wie ich mir Rangers Wohnung vorgestellt hatte, so jedenfalls nicht.
Tatsächlich kamen mir allmählich Zweifel, ob er wirklich hier wohnte. Es war eine große Wohnung, aber sie besaß keine persönliche Note. Keine Fotos im Wohnzimmer, kein Buch auf dem Nachttisch.
An das Schlafzimmer schlossen sich das Badezimmer und ein Ankleidezimmer an. Ich betrat das Badezimmer, und im ersten Moment verschlug es mir den Atem. Ganz entfernt roch es nach Ranger. Ich sah mich um und stellte fest, dass es die Seife war, von der der Geruch kam. Auch hier, wie in den übrigen Räumen, war alles an seinem Platz, nichts lag verkehrt. Die Handtücher waren ordentlich gestapelt.
Cremefarben und dunkelbraun, wie die Bettwäsche. Sehr flauschig. Bei dem Gedanken, dass sich der nackte Ranger damit abrieb, wurde mir ganz weich in den Knien.
Das Doppelwaschbecken war frei von
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