Kusswechsel
Schlaf. Ich ließ mich vom Dach herunterbaumeln und sprang auf die Erde.
Morelli packte mich, drehte mich herum und drückte mich gegen die Hauswand. Er lehnte sich an mich und grinste. »Ich wusste, dass du aus dem Fenster steigen würdest.«
Auf meine perverse Art gefiel es mir, dass mir Morelli auf die Schliche gekommen war. Es beruhigte mich, dass er auf mich Acht gab. »Sehr clever.«
»Finde ich auch.«
»Und was jetzt?«
»Jetzt setzen wir uns wieder brav an den Tisch. Und wenn das Abendessen vorbei ist, gehen wir zu mir nach Hause … zusammen.«
»Und was ist morgen?«
»Morgen schlafen wir aus, lesen die Sonntagszeitung und gehen mit Bob im Park spazieren.«
»Und Montag?«
»Montag gehe ich zur Arbeit, und du bleibst zu Hause und hältst dich versteckt.«
Ich schüttelte entschlossen den Kopf. »Nichts da«, sagte ich.
Er kniff die Augen zusammen. »Wie bitte?«
»Zunächst einmal habe ich Angst davor, mich bei dir zu Hause zu verstecken. So wie ich Angst davor habe, mich in meiner Wohnung zu verstecken oder zu Hause bei meinen Eltern. Ich will niemanden in Gefahr bringen, und ich will es den Schweinen nicht leicht machen, mich zu finden. Wenn dir das noch nicht reicht, sage ich dir: Ich kann es nicht ab, wenn man mich herumkommandiert. Ich arbeite auch im Gesetzesvollzug. Ich bin der Grund für dieses ganze Chaos. Wir sollten zusammenarbeiten.«
»Bist du verrückt? Wie hast du dir das vorgestellt? Soll ich dich als Köder benutzen?«
»Nicht gerade als Köder, aber …«
Morelli packte mich am Kragen, zog mich zu sich heran und küsste mich.
Es war ein geiler Kuss, aber ich konnte nicht einordnen, was er damit bezwecken wollte. Ein endgültiger Trennungskuss hätte weniger Zungenakrobatik benötigt.
»Und?«, fragte ich. »Würdest du mir das bitte mal erklären?«
»Dafür gibt es keine Erklärung. Ich bin nur einfach völlig durcheinander. Ich bin total genervt von dir.«
Das Gefühl kannte ich. Ich verstand es großartig, alles und jeden durcheinander zu bringen. Ein Killer war auf mich angesetzt, und ich unterhielt enge Beziehungen zu zwei verschiedenen Männern. Ich wusste nicht, was mir mehr Angst machte.
»Ich nehme den Weg des geringsten Widerstands und haue ab«, sagte Morelli. »Das mit den Handschellen war schon ein bisschen pervers, entschuldige. Ich muss sowieso zurück an die Arbeit. Wir beschatten das Haus von Wards Bruder rund um die Uhr. Halte dich also fern. Ich schwöre dir, wenn ich dich auch nur irgendwo in der Nähe sehe, nehme ich dich fest.«
Ich verdrehte die Augen und ging zurück ins Haus. In letzter Zeit hatte ich so oft die Augen verdreht, dass ich schon richtig Kopfschmerzen davon hatte.
Am Sonntagmorgen betrachtete ich mich lange und gründlich in Rangers Badezimmerspiegel. Es war kein hübscher Anblick. Das Fett musste runter. Ich duschte und zog mich an und lieh mir ein schwarzes T-Shirt von Ranger aus. Das T-Shirt war schön und viel zu groß, und es verbarg die Speckröllchen.
Es war kein Problem, ein T-Shirt zu finden. Es lag perfekt gefaltet, eingeräumt in ein Regal, auf einem Stapel von zwanzig anderen perfekt gefalteten schwarzen T-Shirts. Und es war auch nicht weiter schwierig, das Kapuzen-Shirt zu finden, das ich mir am Tag zuvor ausgeliehen hatte. Das Kapuzen-Shirt lag ebenfalls perfekt gefaltet auf sechs anderen perfekt gefalteten schwarzen Kapuzen-Shirts. Das war umso beeindruckender, weil es ziemlich schwierig ist, Kapuzen-Shirts perfekt zu falten. Ich zählte insgesamt dreizehn schwarze Cargopants, dreizehn schwarze Jeans, dreizehn knitterfrei gebügelte langärmlige schwarze T-Shirts, passend zu den Cargopants. Schwarze Kaschmirblazer, schwarze Lederjacke, schwarze Jeansjacke, drei schwarze Anzüge, sechs schwarze Seidenhemden, drei dünne schwarze Kaschmirpullover.
Danach fing ich an, alle Schubladen aufzuziehen. Schwarze Herrenstrümpfe, schwarze und graue Frotteesocken. Diverse schwarze Sportkleidungsstücke. Es gab einen kleinen Safe und eine verschlossene Schublade. Ich tippte, dass in der verschlossenen Schublade Waffen lagen.
Eigentlich interessierte mich das alles überhaupt nicht. Die Wahrheit, die reine, hässliche Wahrheit ist, dass ich auch den Rest meiner Selbstachtung verloren hatte und nur nach Rangers Unterwäsche suchte. Ich hatte nichts Perverses damit im Sinn. Ich wollte einfach nur sehen, was für Unterwäsche er trug. Immerhin hatte ich große Selbstbeherrschung bewiesen, dass ich so lange ohne jede
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