Kyria & Reb Bis ans Ende der Welt (German Edition)
für blöd? Nein, ich hab einfach behauptet, der Bürohänger sei mein Schwager, der mit seiner Chefin durchgebrannt sei. Ich würde versuchen, sie zu finden, um einen Skandal zu vermeiden.«
»Was für eine bescheuerte Geschichte.«
»Er wollte so was hören. Wie gesagt, Fremde spinnen für ihn sowieso.«
»Na gut. Er hat sie in Erquy abgesetzt?«
»Ja. An der Kirche. Sie haben ihm ein paar Münzen in die Hand gedrückt, diese Blindgänger. Und zwar eine viel zu große Summe, deswegen sind sie ihm so gut in Erinnerung geblieben.«
»Hast du die Kindergärtnerinnen und die Lehrerinnen auch befragt?«
»Kindergärtnerinnen waren keine da, die Maternelle ist geschlossen. Lehrer – männlich hierzulande – haben Ferien, aber der Hausmeister der Schule glaubt zumindest, die Labortante am Freitag auf dem Schulgelände gesehen zu haben. Er dachte, sie sei eine der Mütter, die eines der Kinder abholen wollte.«
»Es ist wirklich einfach, die Viren hier irgendwo zu platzieren.«
»Tja, keine Überwachung, großes Risiko.«
»Was machen wir jetzt?«
»Ich geb die Infos an meinen Vater weiter. Er kann sich die Namen bestätigen lassen. Ich denke, es könnte einen Riesenskandal geben, wenn das rauskommt.«
»In anderen Gegenden ist die Seuche auch ausgebrochen.«
»So war das wohl geplant.«
»Warum, glaubst du, haben sie ausgerechnet hier damit begonnen? Ich meine, so klein ist das Reservat ja nun auch nicht. In einer Großstadt wie Brest hätte sich die Infektion doch viel schneller verbreitet.«
»Gute Frage, Princess. Du hast dir wahrscheinlich schon Gedanken dazu gemacht.«
»Ja, und die gefallen mir gar nicht. Die laufen nämlich darauf hinaus, dass jemand weiß, dass ich mich genau hier aufhalte, und dass man mir die Schuld in die Schuhe schieben will. Pecker hat schon angefangen, solche Gerüchte zu verbreiten.«
»Zu Pecker kommen wir später. Deine Theorie hat was, Princess. Dass wir zusammen verschwunden sind, hatte man ja schon nach wenigen Tagen herausgefunden. Und dass du zu deiner Freundin wolltest, war zumindest deiner Mutter und Bonnie nicht unbekannt.«
»So weit war ich auch schon. Nur – aus verschiedenen Gründen kann ich nicht glauben, dass meine Mutter in diese Masernsache verwickelt ist.«
»Wahrscheinlich nicht. Mein Vater achtet sie sehr. Er hält sie für eine der integersten Politikerinnen NuYus.«
»Man hat sie belogen. Bei meiner Geburt schon, Reb«, brach es aus mir heraus.
»Ja, sieht ganz danach aus. Hat Dr. Grenouille dir von dem Gentest erzählt?«
»Ja, da du Feigling das ja nicht getan hast.«
Er zuckte wahrhaftig zusammen.
»Ich dachte, einem Arzt würdest du eher glauben«, murmelte er.
»Schon gut. Also steckt Bonnie wohl hinter der Sache.«
»Zumindest mittendrin. Die Strippenzieherin ist sie wahrscheinlich nicht. Dafür ist diese Sache hier zu groß.«
Mir lief plötzlich trotz der drückenden Schwüle eine Gänsehaut über die Arme.
»Ich bin zwischen zwei Mahlsteine geraten, habe ich langsam den Eindruck.«
»Du bist nicht einfach ein Prinzesschen, Princess. Du bist die wichtige Tochter einer wichtigen Frau.«
»Scheiße, das hat man mir gestern auch schon mal zu verstehen gegeben.«
»Vielleicht solltest du das mal langsam akzeptieren.«
»Und dann?«
»Dann findest du möglicherweise heraus, für wen du sonst noch so überaus wichtig bist, dass er dich für diese Zwecke nutzt.«
Ich sprang vom Gatter und tigerte ein Stück über den Feldweg und wieder zurück.
Er hatte recht – er hatte so verdammt recht. Ich hatte das alles völlig verdrängt. Ich hatte geglaubt, sterben zu müssen. Dann hatte ich erfahren, dass mir dieses Schicksal doch nicht so schnell drohte. Anschließend hat man mir mitgeteilt, dass ich überhaupt keinen gravierenden Gendefekt hatte, und dabei war mir aufgegangen, dass man nicht nur mich, sondern auch meine Mutter auf die gehässigste Weise belogen hatte. Und dass eine Mörderin hinter mir her war. Alles das hatte mich gründlich davon abgehalten, über meine eigene Rolle in dem Spiel nachzudenken.
Ich war nur eine Schachfigur ohne eigenen Willen gewesen.
Hilflos schaute ich zu den friedlich grasenden Pferden.
Wie konnte ich das ändern? Was konnte ich tun?
»Noch bist du eine Weile hier sicher«, sagte Reb leise. »Aber nicht mehr lange, denke ich.«
»Nein, nicht mehr lange. Es bahnt sich etwas an. Aber … Reb, wo soll ich hingehen?«
»Als meine Mutter mich auf die Straße gejagt hat, wusste ich das auch nicht.
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