Kyria & Reb Bis ans Ende der Welt (German Edition)
Elfenbeinturm nie bewusst geworden, dass die Menschen ohne Id sich trotz allem in der Stadt frei bewegten. Verachtet zwar, fast unsichtbar, aber dennoch notwendig bei allerlei Tätigkeiten. Es schien, dass ein blühender Tauschhandel, Geldwäscherei, Schwarzmärkte für allerlei Güter existierten, die auf seltsamen Kanälen in die Subcultura gelangten. Es gab Grauzonen, wo sich Civitas und Subcults trafen, Geschäfte miteinander abwickelten und Informationen austauschten.
Wusste meine Mutter auch das?
Sie hatte versucht, Hilfsprogramme einzuführen, die aber nicht angenommen wurden. Vermutlich waren sie an dem Stolz der Menschen hier gescheitert, denn so allmählich dämmerte mir, dass sie samt und sonders gar nicht so unzufrieden mit ihrem Leben waren.
Ich war müde, als wir uns zum Abendessen zusammensetzten, und aß schweigend. Reb erschien kurz in der Kantine, holte sich ein paar Brote und zwei Flaschen kalten Tee und verschwand wieder. Mich würdigte er keines Blickes.
Ich half noch beim Abwaschen, dann sagte Johanne zu mir: »Geh, red mit ihm.«
»Er hat mich nicht angeguckt.«
»Er hat dich aber auch nicht angeblafft.«
Vermutlich würde er das aber gleich wieder tun. Trotzdem, ich musste eine Möglichkeit finden, mich mit ihm zu einigen. Das gehörte zu den Grundsätzen der menschlichen Zivilisation. Man diskutierte die Probleme aus, die man miteinander hatte. So war es mir beigebracht worden.
Erfolgreich war ich nicht immer damit gewesen. Aber ich hatte an einem harten Brocken geübt – die Diskussionen mit meiner Mutter waren ein unbarmherziges Training.
Ich fand Reb zusammen mit einem weißhaarigen Mann auf der Matratze sitzen, ein Stapel alter Bücher zwischen ihnen.
Er sah auf, als ich eintrat, der Alte erhob sich und verbeugte sich.
»Junora!«
»Guten Abend.«
»Das ist Senor Cassius, Princess. Ein Geschäftspartner.«
Ich bedeutete ihm mit einer Handbewegung, wieder Platz zu nehmen, und sah mich nach meinem Rucksack um. Er war nicht gepackt. Immerhin, das war schon mal ein Anfang.
»Störe ich?«
»Nein, Junora. Bleiben Sie nur, wir sind bald fertig.«
Ich ließ mich also auf meinem Deckenstapel nieder und hörte zu, wie die beiden über die alten Bücher verhandelten. Es schien, dass Senor Cassius auf der Suche nach einigen besonderen Werken war und Reb sich bemüht hatte, sie aufzutreiben. Meine Neugier wuchs.
»Was machen sie mit den Büchern, Senor Cassius?«, fragte ich, als er eines zusammenklappte und auf den Stapel neben sich legte.
»Ich lese sie, Junora.«
»Das habe ich mir fast gedacht. Aber warum?«
»Weil ich wissbegierig bin.« Sein zerknittertes Gesicht verzog sich zu einem Lächeln. »Ich bin Geschichtsforscher, Junora. Und ich habe es mir zur Aufgabe gemacht, insbesondere die Zeit vor der Großen Pandemie zu erforschen.«
»Aber die ist doch gut dokumentiert.«
»Sicher, doch in gewisser Weise einseitig. Es sind vor allem die geschätzten Kolleginnen, die diese Dokumente ausgewertet und für die Nachwelt aufbereitet haben. Ein wenig ist dabei die Rolle der Männer in Politik, Wirtschaft und Forschung verrutscht.«
»Ist sie das?«
»Die Männer in Ihrer Welt, Junora, sind – überspitzt gesagt – nichts weiter als mal die Zierde des Hauses, mal Arbeitstiere, mal Belustigungspersonal. Das war vor Zeiten einmal anders. Sie waren Staatsführer, Philosophen, Wissenschaftler, Künstler.«
»Kriegstreiber, Unterdrücker, Zerstörer.«
»So will man es Sie glauben lassen. In Ihren Schulbüchern steht seit hundertfünfzig Jahren nichts anderes. So wie man einst gelehrt hat, dass Frauen minderwertig, technisch unbegabt und körperlich unterlegen seien und nur dazu dienen, Kinder zu gebären.«
»Das stimmt doch gar nicht!«
»Eben. Genauso wenig, wie es stimmt, Junora, dass Männer lediglich die Aufgabe haben, Kinder zu zeugen. Und so weiter.«
Reb grinste unverschämt.
»Senor, diese Princess glaubt nicht, dass Männer ihr etwas zu sagen haben. Verschwenden Sie nicht Ihren Atem auf sie.«
»Reb, mein Junge, es lohnt sich immer, Atem auf etwas zu verschwenden, das zu besserer Einsicht führen kann. Und die Junora scheint mir eine aufgeschlossene junge Frau zu sein, da sie sich hier in Ihre Gefilde begeben hat.«
»Aufgeschlossen ist nicht das Wort, das ich auf sie anwenden würde. Sie ist stur, abweisend, beleidigend, wenn auch manchmal ziemlich witzig.«
Ich sah Reb mit zusammengekniffenen Augen an.
Genau so hatte ich ihn auch für mich
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