Kyria & Reb Bis ans Ende der Welt (German Edition)
keinen Fingernagel dabei ab. Diese Beschäftigung half mir sogar, meine Gedanken zu ordnen, und als das Geschirr abgetrocknet und ordentlich gestapelt auf dem Tisch stand, wusste ich, was ich zu tun hatte.
Ich schloss die Tür und griff zum Telefon.
Diesmal meldete sich eine Männerstimme: »Hallo?«
Ich musste schlucken. Es war nicht Alvar.
»Hallo, hier ist Kyria.«
»Hi, Princess.«
»Hallo, Reb. Reb, ich muss mit deinem Vater sprechen. Es ist ziemlich dringend.«
»Schwierig. Er ist auf See.«
»Aber du kannst ihn erreichen.«
Reb zögerte.
»Reb, ich bin sicher, du kannst es.«
»Um was geht’s?«
»Erinnerst du dich an den Ausfall der Systeme, damals im Heilungshaus?«
»Sicher.«
»Ein Störsender befindet sich hier, auf dem Fort de la Latte, ›Radio La Forteresse‹. Sie planen in den nächsten Tagen einen neuen Anschlag.«
Wieder ein Moment Schweigen. Dann sagte er: »Scheiße.«
»Richtig. Kannst du deinen Vater informieren?«
»Erzähl mir mehr.«
Ich tat es, berichtete von den NuYu-Nerds, den Einbrüchen in der Lodge und in den Bussen, dem Schmuggel von Elektronikteilen – und den Masern und ihren Folgen. Er hörte schweigend zu. Als ich geendet hatte, sagte er: »Ich versuche ihn zu erreichen. Falls es nicht klappt, hinterlasse ich ihm eine Nachricht. Morgen bin ich bei euch.«
Mein Herzschlag setzte kurz aus.
»Ja, ja, wenn du meinst.«
»Meine ich. Okay, so am Nachmittag.«
»Ja, gut.«
»Bis dann.«
Aufgelegt.
Ich starrte den Hörer in meiner Hand an.
Er hatte gar nicht nach der Adresse gefragt.
Also kannte er sie wohl.
Mhm.
Die Tür ging auf, Jenevra kam mit einem Tablett voll Gläsern herein und stellte sie klirrend auf den Tisch.
»Oh, gut, du hast den Abwasch gemacht.« Sie lächelte, als ich mit roten Ohren den Hörer auf die Gabel legte. »Kommt er her?«
»Ähm – ja.«
»Manchmal ist es ganz gut, wenn man etwas Abstand voneinander hat. Dann wird man sich über seine Gefühle klarer.«
Das war zwar nicht der Grund, warum Reb kommen würde, aber als Ausrede kam mir das sehr passend vor.
»Er kann bei Elmo unterkommen, über der Garage gibt es zwei Gästezimmer.«
»Gut.«
Ich stellte den Kessel auf den Herd, um frisches Wasser zu erhitzen, und zog den Stöpsel aus dem Spülstein. Gläser, vor allem die guten, die heute zum Einsatz gekommen waren, mussten besonders sorgfältig behandelt werden. Jenevra räumte die Teller fort, und als ich das heiße Wasser in die Spüle goss, holte sie neue Geschirrtücher aus der Schublade und half mir abtrocknen.
»Willow wird am Freitag beerdigt. Ich suche dir ein schwarzes Kleid heraus. Das gehört sich hier so.«
»Das gehört sich auch bei uns so.«
»Entschuldige. Ich bin etwas fertig.«
»Schon gut. Sind wir wohl alle.«
Tilia kam ebenfalls mit einem Tablett Gläsern zu uns, und ihre Miene war ernst.
»Der eine Zwilling von Jannie ist gestorben. Der andere ringt mit dem Tod.«
Sehr, sehr vorsichtig stelle ich das nasse Glas ab.
»Möge die Mutter ihr Kind zu sich nehmen«, murmelte ich den Standardspruch.
»Möge der Herr seiner Seele gnädig sein«, ergänzte Jenevra.
In der Nacht war ein Gewitter vom Meer über das Land gezogen. Hazel und ich hatten am offenen Fenster gestanden und den Blitzen zugesehen. Kühl und feucht wehte der Wind uns an, salzig von der Gischt der aufgewühlten See. Am Morgen war es kühl, und Dunst lag über den Feldern und der Heide. Ein Bestattungsunternehmen war in der Frühe gekommen, ein Kirchenmann hatte mit Gort, Elmo, Maple und Tilia und ihren Ehegatten gesprochen, ein Notar war gegen Mittag aufgetaucht, um mit ihnen über das Testament zu sprechen.
Die meiste Arbeit blieb also an uns hängen – Hazel, mir und den Kindern, die seit Ferienbeginn auch auf dem Gut wohnten. Wir waren froh, dass Ember und ihre Mutter am Nachmittag zu uns kamen und uns ihre Hilfe anboten. Die Beerdigung sollte am nächsten Vormittag stattfinden. Willow war eine beliebte, freundliche Frau mit einer großen Familie und vielen Freunden gewesen. Sechzig Jahre lang hatte sie in dieser ländlichen Gemeinde gelebt. Es würden sie unzählige Menschen auf ihrem letzten Weg begleiten. Danach sollte es einen großen Leichenschmaus geben. Und dazu musste Kuchen gebacken werden. Butterkuchen, wie ich lernte. Wir rührten und kneteten und buken stundenlang. Und während wir das taten, erzählten Hazel und die Kinder von Willow. Auch Ember und ihre Mutter erinnerten sich, und so wurde mir Grand-mère auch
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