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L wie Liquidator

L wie Liquidator

Titel: L wie Liquidator Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang (Hrsg.) Jeschke
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sich benommen und krank. Als Debra gegessen hatte, mußte er sich zwingen, den Rest hinunterzuschlucken.
     
    Es war ganz klar, daß ihn nur jemand bestohlen haben konnte, den er kannte – einer von seinen Nachbarn, oder ein Schuldner aus dem Park. Sie mußten geahnt haben, daß er eine Quelle für das Gras besaß, und ihm gefolgt sein, als er seine Runde machte. Einer, den er kannte. Einer seiner Freunde.
     
    Am nächsten Morgen fischte er eine Zeitung aus einem Abfalleimer und überflog die Kleinanzeigen auf der Suche nach »Spülhilfe gesucht« oder ähnlichem. Das Dupont-Hotel suchte einen Pikkolo, und er machte sich auf den Weg dorthin und fragte nach dem Job. Der Mann schickte ihn nach einem kurzen Blick wieder fort: »Tut mir leid, Mann; weißt du, wir suchen Leute, die auch ins Restaurant gehen können.« Während er nach New Hampshire wanderte, betrachtete er sich in einem der großen, verspiegelten Fenster. Da sah er, was der Mann gesehen hatte: das Haar, das stachelig in alle Himmelsrichtungen vom Kopf abstand und aussah, als wäre er in fünf oder zehn Jahren ein Rasta; die Kleider, abgerissen und schmutzig; der Blick voller Wut … Entsetzt wurde ihm klar, daß er inzwischen zu arm war, um noch einen Job zu bekommen; und er war schon über den Punkt hinaus, wo man das noch ändern konnte.
    Er wanderte die schimmernden dunklen Straßen hinunter und suchte in den Telefon-Zellen nach vergessenem Wechselgeld. Er ging zur M-Straße und dann zur 12ten, hielt an allen Grills und kleinen asiatischen Restaurants an, marschierte zum Pill Park und versuchte, ein paar seiner alten Kumpels aufzutreiben, während er weiter Münztelefon-Zellen überprüfte; er legte angewehte Zeitungsreste zusammen, in der verzweifelten Hoffnung, dort einen Job zu finden … und mit jedem seiner qualvollen Schritte stach die Furcht in sein Herz wie der Schmerz in seinen Beinen, bis er in blinde Panik geriet. Gegen Mittag begann er zu zittern; er fühlte sich so krank, daß er anhalten mußte und sich, trotz seiner Angst, in der heißesten Tageszeit im Dupont Circle flach auf den Rücken legte und schlief.
    Am späten Nachmittag nahm er seine Wanderung wieder auf. Er hatte kein bestimmtes Ziel. Er steckte seine Finger in jede Telefon-Zelle im Umkreis, aber es waren schon andere Finger vor ihm dagewesen. Die Wechselbehälter der alten Fahrkartenautomaten in der Metro hätten mehr abgeworfen, doch man hatte das U-Bahn-Netz stillgelegt und alle Niedergänge versperrt. Sie füllten sich jetzt langsam mit Abfall. Es waren nur noch große Abfallgruben.
    Als er wieder am Dupont Circle war, versuchte er eine Telefon-Münze zurückzubekommen und bekam einen Dirne. »Yeah«, sagte er laut; damit hatte er jetzt über einen Dollar. Er schaute hoch und bemerkte, daß ein Mann stehengeblieben war, um ihn zu beobachten: einer dieser beschissenen Anwälte, mit gelockerter Krawatte und langärmligem Hemd, langen Hosen und Lederschuhen; er starrte Leroy mit offenem Mund an, während seine Gruppe mit ihren Leibwächtern die Straße überquerte. Leroy hielt die Münze zwischen Daumen und Zeigefinger und starrte zurück, als versuche er, dem Mann die Realität des Dirne einzubleuen.
     
    Er hielt beim vietnamesischen Lebensmittelgeschäft an. »Huang, kann ich ein paar Suppen bei dir kaufen und sie morgen bezahlen?«
    Der alte Mann schüttelte betrübt den Kopf: »Das kann ich nicht machen, Robbie. Wenn ich es einmal mache …« – er wedelte mit den Händen –, »wird das ganze Haus herunterkommen. Du weißt es.«
    »Schon gut. Hör mal, was kriege ich für …« Er zog seine heutigen Einnahmen aus der Tasche und zählte sie nochmals. »Einen Dollar zehn.«
    Huang zuckte die Achseln. »Einen Candy-Riegel? Nein?« Er sah Leroy nachdenklich an. »Kartoffeln. Hier – zwei Kartoffeln aus dem Hinterzimmer. Ein Dollar zehn.«
    »Ich wußte gar nicht, daß du Kartoffeln führst.«
    »Weißt du, ich behalte sie für die Familie. Aber die hier verkaufe ich dir.«
    »Danke, Huang.« Leroy nahm sich die Kartoffeln und ging davon. Hinter dem Laden befand sich ein Abfallbehälter; er beäugte ihn, öffnete ihn und schaute hinein. Da lag ein halbaufgegessener Hot-Dog – doch der Gestank überwältigte ihn, und er erinnerte sich an den ekelhaften Geschmack der zusammengeschütteten Alkoholreste, mit dem er sich selbst bestraft hatte. Er ließ den Mülltonnendeckel zufallen und ging nach Hause.
     
    Nachdem er die Kartoffeln gekocht, zu Brei gestampft und Debra

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