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L wie Liquidator

L wie Liquidator

Titel: L wie Liquidator Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang (Hrsg.) Jeschke
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Das Hologramm des Aliens löste sich auf. »Das Sinfonie-Orchester von Celestial Village wird Ihnen nun das jüngste, erregende Werk von Cimela Bediako zu Gehör bringen. Es trägt den Titel Der Sternenwanderer.« Er ließ sich in seinen Schwebestuhl zurücksinken.
    Irgendwann während seiner Rede hatten die Musiker ihre Plätze am Ende des Saales eingenommen. Cimela verkrampfte die Finger im Schoß, und ihr Herz dröhnte wie eine Kesselpauke, als sie Wu Chien zunickte.
    Nach den ersten Takten aber fiel die Nervosität von ihr ab. Sie vergaß Ashendene und seine Gäste. Nichts existierte außer der Musik. Das Leitthema klang auf, getragen von Sopranflöte, Samisen und Harfe. Streicher, Blech- und Holzbläser fielen ein, spielten komplementäre Nukleotiden-Sequenzen. Und im Zentrum des Tischkreises projizierte der Computer die Bilder der Holo-Aufzeichnung: goldgefiederte fremde Geschöpfe mit opalschimmernden Facettenaugen, die hochaufgerichtet dahinschritten, ein verschlungenes Menuett gegen den Hintergrund der Mondlandschaft und des Sternenfeldes tanzten.
    Cimela schloß die Augen und ließ sich von den Klängen in Besitz nehmen; sie pochten in ihrem Blut und vibrierten hypnotisch in ihren Knochen. Wie töricht von den Menschen zu glauben, daß die Musik ihr Werk sei! Die Natur hatte die Töne lange vor ihnen erfunden und spielte sie weit besser, in den Stimmen von Wind, Wasser und Tieren, in der Substanz, die das Leben zu dem machte, was es war. Die fremden Wesen mochten von einer fernen Sonne und fernen Meeren kommen, aber ihre Zellen sangen ein Lied, das sich kaum von den Melodien der Bäume, Insekten und Menschen auf der Erde unterschied.

    Als die Musik verstummte, erfüllte absolute Stille die Kuppel. Cimela vernahm ihren eigenen seufzenden Atem und ihren harten Herzschlag. Sie öffnete die Augen und sah, daß die Gäste immer noch wie erstarrt in den Mittelpunkt des Kreises starrten. Langsam wandte sie sich Wu Chien zu, ein kaltes Gefühl in der Magengegend. Das durfte nicht sein! Sie lehnten ihr Werk ab! Cimela versuchte sich beim Orchester mit Blicken zu entschuldigen.
    Aber dann setzte der Beifall ein … erst ein Händepaar, dann noch eines und wieder eines. Der Applaus schwoll an, bis er mit seinem Dröhnen die Kuppel erschütterte. Ashendene lachte breit und gab ihr mit einer Geste zu verstehen, daß sie aufstehen sollte. Und einer nach dem anderen erhoben sich auch die Gäste. Die mächtigsten Männer und Frauen des Sonnensystems standen da und klatschten Beifall.
    Cimela nahm noch wahr, daß sie sich vor dem Publikum und dem Orchester verbeugt hatte, daß sich das Orchester ebenfalls verbeugte. Dann verschwamm alles zu einem Menschengewühl, das sie mit Gratulationen überschüttete. Sie schwebte auf einer Wolke von Euphorie, die sie immer noch trug, als sich der Ballsaal allmählich geleert hatte und sie allein neben Ashendene stand, während ringsum die Diener aufzuräumen begannen.
    Sie umarmte ihn voll überschwenglicher Freude. »Kerel, ich danke dir, daß du mir die Chance zu dieser Sinfonie gegeben hast.«
    »Und ich danke dir, daß du sie komponiert hast! Jeder einzelne meiner Gäste bedrängt mich um Anteile bei dem Sternenschiff-Projekt.« Dann preßte er sie fest an sich.
    Irgendwie landete sie in seinen Privaträumen, teilte sein Bett, ohne daß es sie überraschte. Und die Liebesnacht war ein Fest, süß wie Mondwein und zutiefst beglückend wie ihre Musik. Ashendene mochte zwar gelähmt sein, aber er erwies sich als zärtlicher Liebhaber.
    Sehr viel später erwachte sie unter dem hellen Glanz der Sterne und hob den Kopf, um den Anblick des Himmels zu genießen. Wie sollte es nun weitergehen? Ashendene hatte ihr in dem Kontrakt sämtliche Rechte an der Sinfonie überlassen. Das hieß vermutlich, daß sie nun auf die Erde zurückkehren und den Sternenwanderer dort aufführen konnte. Wenn sich die Nachricht von der Entdeckung des Fremdweltler-Schiffs erst einmal herumsprach, war das Echo in der Öffentlichkeit sicher sehr groß.
    Sie setzte sich im Bett auf und überlegte lächelnd, daß der Raum ebenso surrealistisch anmutete wie Ashendenes Gemälde – Bücherregale und ein überladener Schreibtisch, begrenzt vom Ringwall eines Mondkraters und dem Sternenhimmel! Das Zimmer würde ihr fehlen – und Kerel auch.
    Cimela stand auf und trippelte barfuß zu den Regalen hinüber. Sie strich über die uralten Buchrücken und warf einen Blick auf die Titel: Märchen, Science Fiction, Astrophysik,

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