Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
L wie Liquidator

L wie Liquidator

Titel: L wie Liquidator Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang (Hrsg.) Jeschke
Vom Netzwerk:
Kryo-Reform so problemlos und perfekt organisiert über die Bühne. Nach etwas mehr als einem halben Jahr kam es zu heftigen Auseinandersetzungen, als die Bundesregierung Überlegungen anstellte, nicht nur die Arbeitslosigkeit, sondern auch andere Problembereiche mit Hilfe der Kryotechnik in Angriff zu nehmen. Neigte die Regierung früher dazu, Probleme ›auszusitzen‹, ging man nun dazu über, die Probleme auf Eis zu legen. Als gesellschaftlich belastende Minoritäten, die man so auf kaltem Wege auszuschalten gedachte, wurden u.a. Asylanten, Homosexuelle, Graue Panther, Neutralisten und militante Umwelt-Aktivisten genannt. Es kam zu einem heißen Sommer voller Demonstrationen und Zwischenfälle.
    (Einblendung von Handgreiflichkeiten, bei denen die Beteiligten Spruchtafeln mit Aufschriften wie MACHT DIE WARMEN KALT oder SCHWUL IS COOL als Prügel einsetzten. Dann das Bild einer rauchgeschwärzten Ruine.)
    Der alte, viel zu kleine Bundestag wurde durch ein Bombenattentat völlig zerstört und an anderer Stelle neu errichtet – schöner, repräsentativer und in der Größe, die dieser Institution – auch in Relation zur Neuen Bayerischen Staatskanzlei – schon lange zustand. Die kryotechnische Bindung des gemeingefährlichen Protestpotentials konnte nach diesem Anschlag auf die Demokratie beschleunigt durchgeführt werden.
    Zwei Jahre später flackerten erneut Unruhen auf, als es durch einen Bedienungsfehler im dreifach redundanten Sicherheitssystem des AEL West V in Eschweiler zu einem Stromausfall kam und die Lebensprozesse von 88.000 Schläfern irreversibel geschädigt wurden. Der Zwischenfall rief weltweit Trauer und Bestürzung hervor. (Einblendung der Feierstunde im Neuen Bundestag.) Da aber in den folgenden Jahren keine derartig gravierenden Betriebsstörungen mehr auftraten, geriet der Schwarze Tag von Eschweiler bald in Vergessenheit.
    Ein weiteres Problem, auf das man zwar vorbereitet schien, erwies sich in der Praxis als besonders schwerwiegend: die Zeitverschiebung innerhalb der Familien. Wenn Schläfer nach einigen Jahren zum erstenmal wieder mit ihren weiterhin aktiv gebliebenen Familienmitgliedern zusammentrafen, traten in der Regel schwere psychologische Krisen auf, die um so tiefgreifender waren, je länger die Verweildauer im Kryo-Schlaf war.
     
    Aufzeichnung einer Revitalisierung. Kurt Hochstätter, 35, arbeitsloser Hausmeister, erwacht nach 20 Jahren Kälteschlaf. Verwundert betrachtet er die Frau, die neben seiner geöffneten Glaskammer auf ihn wartet. »Mutter«, sagt er, »was tust du denn hier? Ist was mit der Anni?«
    »Kurt«, sagt die Frau, »ich bin’s doch. Die Anni. Deine Frau.« Sie starren sich an, und man sieht in ihren Gesichtern, was sie denken. Sie ist alt geworden, er ist jung geblieben. »Schatz«, sagt die Frau schließlich. Als sie sich vorbeugt, um ihn zu küssen, dreht er den Kopf zur Seite. Ihr Kuß landet ungeschickt auf seinem Ohr. Sie beginnt zu weinen.
     
    Ein menschliches Drama, ganz zweifellos. Und es ist nur ein Beispiel von vielen. Neben der altersbedingten Entfernung gab es noch andere psychische Krisen. Manche wurden mit der veränderten Umwelt nicht fertig, litten unter schweren Zukunftsschocks, andere brachen in Tränen aus, wenn sie an der Stelle ihres Elternhauses eine Kläranlage oder einen Kühlturm vorfanden. Es kam sogar zu Selbstmorden. Solche emotionalen Negativreaktionen sind heute nicht mehr möglich. Durch den Einsatz entspannender Psychopharmaka und spezielle Wiedereingliederungstherapien werden derartige Vorkommnisse zuverlässig verhindert.
    Auch die sich aus ehemaligen Schläfern rekrutierende Terrorgruppe DER EISMANN KOMMT konnte inzwischen gefaßt werden. Alle Wogen, die von der Kryo-Reform vorübergehend geschlagen wurden, haben sich damit geglättet. Alles ist im rechten Lot, und man kann nun im Rückblick ein Fazit ziehen – und wer wäre dazu berufener als die Kollegen von der ZEITLUPE. Bitte sehr:
     
    Schnelle Schnittfolge historischer Fotos: Albert Einstein streckt die Zunge heraus, Atompilz über der Wüste von Neu-Mexiko, die Beatles und kreischende Teenager, die explodierende Challenger, die Ruine von Downing Street Nr. 10 mit den Überresten des IRA-Sprengstoff-LKWs, die Hinrichtung des letzten weißen Ministerpräsidenten vor dem Krügerdenkmal in Pretoria, die ersten Schritte Akuragawas auf dem Mars. Titeleinblendung: ZEITLUPE – Analysen und Hintergründe zum Zeitgeschehen. Ein professoral wirkender Moderator erscheint auf

Weitere Kostenlose Bücher