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L wie Liquidator

L wie Liquidator

Titel: L wie Liquidator Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang (Hrsg.) Jeschke
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der Autobahn dahin. Den Autos kaum nachkommend, hasteten rote Flecken – der Widerschein der Bremslichter – hinterher. Diese unaufhörliche Bewegung ließ den Gedanken an hunderte Tonnen schwere Ungeheuer aufkommen, die auf ein nur ihnen verständliches Warnsignal hin dem Raketenstartplatz zurasten.
    Doch die Autos fuhren lautlos dahin, zumindest im Führerhaus war nicht der leiseste Motorenlärm zu hören. So erinnerten sie auch eher an märchenhafte honigtragende Vögel mit gelben Augen und roten Schwänzen. Oder an den Schatten von Vögeln.
    … Irgendwo in den Sternenweiten, ergriffen von einem Gravitationsorkan, jagte das Forschungsschiff »Photon« dem Unbekannten entgegen. Eine Supernova war in der Nähe von ihm explodiert, und ihr gewaltiger Atem hatte kaum die Galaxis in Bewegung gesetzt, doch zehn Menschen – die Besatzung und das Herz der Atomrakete – kämpften gegen die ungeheure Kraft an, die den stählernen Rumpf zusammenpreßte, sie in die endlosen Weiten hinaustrug, wie der Sturm einen Vogel mit gebrochenem Flügel. Das supermoderne Forschungsschiff, das bestimmt war für die Erkundung des sternnahen Raums, erwies sich als machtlos angesichts der Elementarkraft, die das glühende Innere der Sonnen zum Ausbruch brachte.
    Das war also der Grund, weshalb in der nächtlichen Finsternis alarmierende Lichter aufleuchteten. Bereits in der Morgendämmerung sollte das Rettungsschiff in die galaktischen Weiten vorstoßen, ohne auch nur eine Minute zu verlieren. Das war ein ganz ungewöhnliches Schiff.
    Die Lichter flogen über der Autobahn dahin, zeichneten eine leuchtende Gerade. Die Geschwindigkeit dieses Fluges war nicht zu spüren. Nur zu erahnen. An den Kreuzungen sammelten sich die Lichter zu Schwärmen. Sie kamen von Süden, Osten und Westen hierher gezogen, um den Flug in einer Richtung, nach Norden, fortzusetzen. Zum Raketenstartplatz. Dort luden sie ihre gewichtigen Lasten in den geräumigen Kabinen eines Schiffes ab, das seinesgleichen noch nie gesehen hatte.
    … Der Zeiger des Tachometers stieg auf fünfhundert, fiel dann plötzlich immer weiter nach unten ab. Tschereschnin kniff angespannt die Augen zusammen.
    »Wir bleiben stehen.«
    »Für lange?«
    »Fünf Minuten.«
    Das Auto hielt an – nun merkte man die Geschwindigkeit des Verkehrs auf der Fahrbahn. Die LKWs brausten wie verrückt vorbei.
    »Ich erinnere mich noch an die alten Autos«, sagte Tschereschnin. »Damals hatte man es leichter: war ein Ventil durchgerostet, so brauchte man nur ein Fünfkopekenstück einzulegen und schon konnte man weiterfahren.«
    »Wie alt sind Sie jetzt?« fragte Sergej.
    »Neunundfünfzig.«
    »Dann sind wir sozusagen Altersgenossen – laut unserem Kalender.«
    »Sie haben es schwerer. Wann fliegen Sie?«
    »Sofort. Falls ich die Erlaubnis bekomme. Flug kann man das wohl nicht nennen. Eher einen Sprung in den Weltraum. Hin und zurück.«
    »Weshalb sind Sie nicht mit dem Bus hingebracht worden? Oder mit dem Hubschrauber?«
    »Kann weder das eine noch das andere ausstehen. Man muß in den richtigen Rhythmus kommen, verstehen Sie? Und ein Fernlaster bei Nacht erinnert irgendwie an ein Schiff.«
    »Sie übertreiben.«
    »Nein. Vielleicht werde auch ich eines Tages einen solchen LKW fahren.«
    »Wahrscheinlich wird es solche dann nicht mehr geben.«
    »Trotzdem.«
    Sie stiegen aus dem Führerhaus und spürten warmen, elastischen Boden unter den Füßen. Der Straßenrand und die ihn säumenden Fichten sahen weiß aus im Licht der Scheinwerfer. Für einen Augenblick senkte sich Stille von oben herab. Es war zu hören, wie in weiter Ferne ein dürrer Zweig knisterte. Mit einem Auge sah Sergej einen Meteor aufleuchten und verglühen. Die Wärme der von den Reifen erhitzten Autobahn stieg zu den Sternen auf. Über ihren Köpfen zog sich eine leuchtende Spur in die Länge.
    »Zum Mars«, sagte Tschereschnin, »eine gewöhnliche, die nächste. Wenn ich nur bis zum Morgen warten … zusehen könnte. Wissen Sie, ich habe einen Sohn dort, auf der ›Photon‹. Als zweiten Piloten. Besser hätten sie ihn nicht fortgelassen. Ihm fehlt nämlich eine Hand. Die linke ist amputiert … Ja … Nun, fertig.«
    Sie sprangen zurück ins Auto. Über der Erde flogen erneut die nächtlichen Lichter dahin. Die Scheiben des Führerhauses bebten leicht. Das gebündelte Licht der Scheinwerfer entriß der Dunkelheit weißliche Dunstschleier über der glutheißen Fahrbahn. Hunderte Autos bügelten und plätteten sie mit ihren

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