L wie Love
auch schon zu weinen anfing.
Mom war bereits im Bett und Dad, der auf mich gewartet hatte, schnarchte im Lehnstuhl. Ich unterdrückte mein Schluchzen und schlich mich auf Zehenspitzen die Treppe hinauf in mein Zimmer. Ich wollte niemandem von meinem Katastrophendate erzählen. Ich packte Ken, warf ihn in den Kleiderschrank und häufte einen Stapel Wäsche über ihn. Mit den Männern war ich fertig. Mit den echten und denen aus Plastik.
Barbie und ich krochen ins Bett und zogen die Bettdecke über uns. Ich heulte und erzählte ihr, was passiert war, und sie hörte zu. Aber ich wusste, dass sie mich in Wirklichkeit nicht verstehen konnte. Wie sollte sie auch, mit ihrem perfekten Leben, dem perfekten Cabrio, dem perfekten Haus und den perfekten Plastikbrüsten?
Am Sonntagmorgen nach meinem Katastrophendate ging ich ins Badezimmer, warf einen Blick in den Spiegel und bekam einen Mordsschrecken! Achgodogod! Ein riesiger Knutschfleck an meinem Hals! Ich konnte mich nicht daran erinnern, wie er dort hingekommen war. Ich bedeckte ihn mit der Hand und rannte wieder in mein Zimmer, wo ich mir eilig einen Rollkragenpullover überzog. Mom sagte ich, dass ich mich nicht gut fühlte, was mit den geschwollenen Lippen (Küssen), den geschwollenen Augen (Heulen) und dem riesigen Knutschfleck auch der Wahrheit entsprach. Ich sah anscheinend ziemlich übel aus, denn ich musste nicht in die Kirche oder zu Tante Grace. Mom fragte mich aber, ob ich mit ihr oder jemand anderem reden wollte. Nein!
Sophia schneite daraufhin ungefragt in mein Zimmer und zog meinen Rollkragen herunter. »Hmmm. Versuch es mal mit Zitronensaft.«
»Du meinst, äh, Limonade trinken?«, fragte ich.
Sie verdrehte die Augen. »Nein,
Stupidu
. Du sollst Zitronensaft auf dieses … Ding … an deinem Hals tupfen. Angeblich geht die Rötung davon weg.«
Internetrecherche
Ein Knutschfleck ist ein Bluterguss, der durch Saugen oder Beißen am Hals entsteht, wodurch kleine Blutgefäße platzen. Knutschflecken sind Besitztumszeichen. Manche Mädchen stellen sie stolz zur Schau, um zu demonstrieren »Ich gehöre ihm«.
Laut Internet sind Knutschflecken also eine Art Brandzeichen. Wie bei Kühen, die gebrandmarkt werden, damit man weiß, welchem Bauern sie gehören. Eigentlich finde ich diesen Kuhvergleich ziemlich blöd. Ich weiß gar nicht, ob ich einem Jungen gehören will. Also, ich will einen Freund haben, aber ihm
gehören
? Wie ein Hemd oder eine CD oder irgendetwas anderes?
Ich schlief sehr viel. Das war gut, weil ich mich in diesem Zustand an nichts erinnerte. Aber in meinen wachen Momenten hatte ich genug Zeit, über Socken, Montag, Jungen, Socken, Schule, BHs und Socken nachzudenken, und da wurde mir klar, dass ich nie mehr in diese blöde Schule gehen wollte.
Am Spätnachmittag plünderte ich Moms Vorrat an Erdnussbutterschokoriegeln – ihre neueste Schwangerschaftsbegierde – und drückte mampfend eine halbe Zitrone auf meinem Hals aus. Die Schwellung veränderte sich dadurch aber kaum, nur hatte ich jetzt einen leckeren Zitrusduft an mir. Auf diese Weise ging der Tag zu Ende.
Montagmorgen beim Frühstück.
»Mom«, sagte ich und trank mir mit einem Schluck Orangensaft Mut an. Dann fasste ich an meinen Hals, um sicherzugehen, dass der Pulli ihn bedeckte. »Ich bin der Meinung, dass der traditionelle Schulunterricht für meine Erziehung nicht geeignet ist. Onlinekurse wären viel besser für mich. Außerdem bist du bald mit Boo-Boo daheim und könntest mich zu Hause unterrichten.«
Mom sah mich verblüfft an.
»Unter Umständen könnte ich ohne die Ablenkungen durch die Schule meinen Schulabschluss sogar früher machen. Denk nur an die Drogen. Für einen sensiblen Teenager eine echte Gefährdung. Und wenn du wüsstest, wie wenig Zeit auf den eigentlichen Unterricht verwendet wird … sehr wenig, kann ich dir sagen.« Ich ließ ihr einen Moment, diese Information zu verdauen, bevor ich auf einen Stapel Bücher zeigte, den ich mit nach unten gebracht hatte. »Ich bin sehr diszipliniert und ich kann gut allein arbeiten. Ich fange jetzt sofort damit an, das heißt, ich lerne, bevor die richtige Schule überhaupt angefangen hat.« Das war doch ein sehr schönes Beispiel für Selbstdisziplin.
»Kommen heute nicht Großmama T und Nannu zu dir in den Unterricht?«, fragte Mom.
Mist! Das Geschichtsreferat. Das hatte ich total vergessen. Vielleicht konnte ich sie noch anrufen und ihnen absagen …
»Teresa, geh in die Schule«, sagte Mom sanft. »Egal,
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