Labyrinth der Puppen: Thriller (German Edition)
Die Frau wird lauter, und am Rand ihrer Stimme, direkt unter der schleimigen Feuchtigkeit, höre ich die Angst.
»Können Sie uns helfen?«, bleibt Rhoda hartnäckig. »Vielleicht können wir Ihnen helfen.« Sie entleert den Inhalt ihrer Taschen auf den Tisch: eine Handvoll Münzen, Schlüssel, Papiertaschentücher, zwei halb gerauchte Zigaretten, ihr Handy. Ihre Jackentaschen, in denen sie, wie ich weiß, die anderen Zigaretten und ihre Drogen aufbewahrt, spart sie aus.
»Ihr müsst gehen«, wiederholt die Frau. Ihre Augen wandern immer wieder zwischen dem gegenüberliegenden Ende des Restaurantbereichs und der Beute auf dem Tisch hin und her.
»Wir lassen Sie allein, sobald Sie uns sagen, wo der Junge ist.«
Die graue Frau glotzt auf die Taschen meiner Jeans. Die Konturen von Handy, Brieftasche und Schlüsseln zeichnen sich deutlich ab.
»Na los«, zischt Rhoda.
»Scheiße, ich brauch das Zeug«, murre ich, packe aber alles auf den Tisch.
»Dafür: Essen.« Die Frau nimmt Rhodas Handy. Mit ihren dreckigen Fingern wühlt sie in der Brieftasche, die Mom mir zum Geburtstag geschenkt hat. Ich habe nur 50 Piepen und ein paar Münzen. Sie nimmt alles und hinterlässt dafür eine staubige Schmiere.
»Wir wollen kein Essen«, lehnt Rhoda ab. »Sagen Sie uns nur, wo der Junge ist, dann verschwinden wir sofort.«
Die Frau ignoriert sie und geht zurück zu den Ölfässern, gefolgt von den Männern. Wir stehen nur da. Rhoda flucht leise vor sich hin.
»He«, sage ich etwas verspätet. »Das sind meine Sachen.«
»Wollt ihr Essen?«, ruft die Frau über die Schulter. »Gibt was Frisches heute!« Sie stößt ein trockenes Gackern aus, das so klingt, als hätte sie es seit Jahrhunderten nicht mehr benutzt. Die Männer kichern in sich hinein, ihr Lachen hallt hohl durch die leere Halle.
»Und? Willst du Essen?«, krächzt Rhoda in einer ziemlich guten Nachahmung der alten Hexe.
Mein Magen knurrt. Ich bin am Verhungern. Ich frage mich, ob sie wohl Chips hat. Ich habe Heißhunger auf Chips.
»Ich finde ja, wir haben im Moment wichtigere Probleme, aber meinetwegen.« Rhoda zuckt die Schultern.
Wir folgen der Alten.
Die Frau führt uns zu einer stinkenden Nische, an deren Wänden hüfthoch ihr persönlicher Kram aufgestapelt liegt. Aus zusammengefalteten Pappkartons und Plastikfolien hat sie sich in der Ecke ein Nest gebaut. Die Männer ertasten sich währenddessen ihren Weg zum Feuer. Mit winzigen Schritten schlurfen sie vorwärts, als sei es stockdunkel. Die graue Frau bückt sich nach einer Plastiktüte, die sie hinter einer Wand aus Pappkartons versteckt hat, bellt einen schleimigen Hustenanfall in ihre Hand, dann wühlt sie in der Tüte herum.
Ich hoffe bei Gott, dass das tropfende, in Wachspapier gewickelte Päckchen, das sie herauszieht, nicht die Mahlzeit ist, die wir soeben gekauft haben. Aber es hören wohl gerade keine Götter zu: Es ist unser Essen. Die alte Hexe findet noch eine Flasche Wasser und einen unverpackten halben Laib Weißbrot, den sie an ihrem Gewand abwischt, bevor sie ihn uns reicht.
»Esst da«, sagt sie und zeigt auf die Tische im Essbereich, an denen wir miteinander gesprochen haben. »Dann verschwindet.«
»Auf gar keinen Fall werde ich dieses ...«, beginne ich, aber Rhoda stößt mich in die Seite.
»Danke«, nickt sie. Ich hätte erwartet, dass sie wenigstens protestiert.
Wir gehen über den Parkplatz zurück zu unserem Tisch.
»Diese Scheiße ist doch kein Essen. Komm schon – sonst streitest du dich auch wegen jedem Mist! Warum hast du nicht ...« Aber ich weiß, dass ich nur meinen Atem verschwende.
»Du hast dich ja auch nicht beschwert.«
»He, du bist diejenige, die weiß, wie es auf der Straße so läuft, oder? Du müsstest doch wissen, was in so einer Situation normal ist.«
Rhoda stößt ein Lachen aus. Ich weiß nicht, ob es Sarkasmus oder echte Belustigung ausdrückt. »Normal? Na, dann sag mir mal eins: Wir irren unter einem Einkaufszentrum durch Gänge, die ständig ihre Richtung ändern, kaufen Essen von einer grauen Frau in einem Spukparkhaus, werden von einem brüllenden Monster gejagt und von den Werbetextern des Teufels zugesimst – was für eine ›Situation‹ ist das deiner Meinung nach? Klingt für mich eher wie etwas, das man in deinen Kreisen als normalen Tag bezeichnet, Ladenjunge. In meinem Leben ist es normal, mir was einzupfeifen und dann zu chillen bis zum Abwinken.«
»Trotzdem werde ich diesen Dreck nicht essen. Sieh doch, das Brot ist
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