Labyrinth der Puppen: Thriller (German Edition)
zusammen und beeile mich, den Umschlag zu verstauen. Seine Augen ruhen auf meiner Tasche. Es ist offensichtlich, dass er weiß, was ich gerade gemacht habe.
»Was geht dich das an?«, knurre ich.
»Entspann dich. Ich frag doch nur. Ich dachte, wir hätten uns auf einen Waffenstillstand geeinigt.«
Eine Sekunde lang verspüre ich einen leichten Anflug von schlechtem Gewissen. Aber Nettsein gehört nicht gerade zu meinen Stärken. »Dan, versteh mich nicht falsch, aber du siehst richtig scheiße aus.«
Er fährt sich verlegen mit der Hand durch die Haare, die ganz verfilzt und staubig grau sind, so wie bei diesen freakigen Obdachlosen da hinten. Seine Poren sind mit winzigen Dreckpunkten verstopft, als sei sein Gesicht von Mitessern übersät, und seine Kleidung sieht zerknittert und fleckig aus. Ich habe schon so manches Mal im Freien übernachtet, aber ich kann mich nicht erinnern, wann ich mich zuletzt so vor mir selbst geekelt habe. Auch wenn wir wohl erst seit ein paar Stunden in diesem Labyrinth festsitzen – genau weiß ich es nicht, weil diese alte Hexe offenbar die Uhr meines Handys verstellt hat –, haben sich Staub und Dreck schon tief unter meine Fingernägel gegraben. Meine Augen fühlen sich an, als hätte man sie mit einem Sandstrahler behandelt, und meine Zähne sind pelzig und sandig. Für eine Dusche würde ich im Moment so ziemlich alles tun.
»Du siehst aber auch nicht gerade wie Angelina Jolie aus«, kontert er.
»Tja, in nächster Zeit werde ich wohl keinen Schönheitswettbewerb gewinnen, was?«, fauche ich.
»So meinte ich ...«
»Vergiss es.« Ich strecke die Hand aus. »Gib mir dein Handy.«
»Kannst du nicht wenigstens Bitte sagen?«
»Oh, tut mir leid, Dan. Ich wollte dein sensibles Feingefühl nicht kränken.« Ich klimpere mit den Lidern und trällere in meiner besten Kleinmädchenstimme: »Dürfte ich mir bitte, bitte dein Mobiltelefon borgen, wenn es dir nicht allzu viele Unannehmlichkeiten bereitet?«
Mein Gott, wird er etwa rot? Ohne mir in die Augen zu sehen, reicht er mir das Gerät. Ich scrolle durch den Nachrichteneingang und lese die Textnachrichten noch einmal. »Was soll dieser Mist von wegen Markt? Was denn für ein Markt?«
»Weiß der Himmel.«
»Ich sag dir was, Dan ... das ist kein Spam.«
»Reim dich oder ich fress dich.« Sein Kichern bewegt sich hart an der Grenze zur Hysterie. Gar nicht gut.
»Ist alles okay mir dir?«, frage ich. »Du schnappst doch nicht über, oder?« Auch wenn ich es ihm nicht verdenken könnte.
Er reibt sich mit der Handfläche übers Gesicht und sieht dabei aus wie ein Zwölfjähriger. »Es ist nur ... ich kapier das alles nicht!«
»Geht mir genauso.«
»Ich meine ... was zur Hölle geht gerade ab?«
»Als hätten wir beide ziemlich übles Acid oder so was genommen«, sage ich. Er wirft mir einen finsteren Blick zu. »Keine Sorge, Blödmann. Ich hab dir nichts untergejubelt. Ich verschwende doch meine Vorräte nicht an dich!«
Er begegnet meinem Blick einige Sekunden lang, dann nickt er, als ob er mir glaubt. »Mir ist da was eingefallen.«
»Schieß los.«
»Der Junge ...«
»Was ist mit dem Jungen?«
»Was ist, wenn er ... na ja ... entführt wurde und die Leute, die uns die ganze Zeit verarschen, uns nur von der Fährte abbringen wollen? Du weißt schon, Menschenhändler – Pädophile oder so was.«
»Aber du hast doch gesagt, dass niemand bei ihm war, als du ihn gesehen hast.«
»Ja. Aber ich meine ja nur. Wär doch möglich.«
»Das hier ist kein Bruce-Willis-Film, Dan. Sei nicht so albern.« Ich warte auf eine scharfe Erwiderung, aber er schweigt. »Hör mal«, sage ich mit sanfterer Stimme, »wenn das wirklich kaltblütige Menschenhändler wären, die würden uns doch einfach umlegen, oder? Außerdem erklärt das nicht, woher sie unsere Namen kennen.«
»Aber was steckt dann dahinter? Blinde obdachlose Irre, Tunnel und Korridore, die nirgendwohin zu führen scheinen, Schaufensterpuppen in Bondage und Textnachrichten von jemandem, der nicht nur unsere Namen kennt, sondern sich auch noch anhört wie der Oberspammer des Teufels. Im Ernst, Rhoda. Ich glaub so langsam, wir sind mitten in der Twilight Zone gelandet.«
»Ich hab schon Schlimmeres erlebt.«
»Wirklich?«
Nein – nicht einmal annähernd. Und ich habe in der Vergangenheit schon in ziemlich haarigen Situationen gesteckt. Aber das werde ich ihm nicht auf die Nase binden. »Wir werfen gerade nur einen Blick hinter die Risse des Systems, Dan. Es gibt
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