Labyrinth der Puppen: Thriller (German Edition)
figurformenden Sorte, aber ich fördere auch einen winzigen Stringtanga zutage, an dem noch das Preisschild hängt. Und dann: Bingo! Meine Finger streifen über den Rand eines Umschlags, der sich unter einem Stapel Stretchmieder versteckt. Er enthält mehrere Hochglanzfotos von einem dickbäuchigen Weißen mit schütterem, über die Halbglatze gekämmtem Haar. Auf den meisten Bildern sitzt der Mann auf einem Sofa neben einem Labrador und grimassiert in die Kamera. Dans Vater? Ich entdecke keine Familienähnlichkeit, und seinem katastrophalen Pullover nach zu urteilen stammen die Fotos wahrscheinlich von irgendwann aus den 80ern. Weder Rose noch Dan haben jemals irgendeine Vaterfigur erwähnt. Muss wohl ein peinlicher Familienskandal dahinterstecken. Erinnerungen an verstorbene Angehörige haben normalerweise einen Ehrenplatz im Wohnzimmer. In den seltensten Fällen werden sie wie schmutzige Geheimnisse in Unterwäscheschubladen versteckt.
Ich wende mich dem Kleiderschrank zu. Sehr beeindruckend. Rose knausert offensichtlich nicht bei ihrer Garderobe. Ich hole eine Christian-Lacroix-Jacke aus dem Schrank, die aussieht, als hätten sich die kompletten 70er-Jahre darauf ausgekotzt, und einen Ann-Klein-Rock, der mindestens zwei Nummern zu klein für sie sein muss. Ich streiche mit den Fingern über den Stoff des Rocks. Nett. Teuer. Ich halte ihn vor meinen Körper und betrachte mich im Spiegel.
Ich schüttle meine Haare über mein Gesicht. Einige der Extensions sind mittlerweile etwas ausgefranst, aber noch tun sie es. Hinter dem Haarvorhang ist die Narbe kaum zu sehen. Es ist der Rest von mir, der wie ein Sack voll Scheiße aussieht. Mein grünes Seidenkleid ist in der Wäsche und der Gnade von Florence ausgeliefert, und es ist erstaunlich, wie sehr mir das Gefühl dieses kostspieligen Materials auf der Haut fehlt. Vor allem im Vergleich zu dem, was ich jetzt trage: eine von Dans schwarzen Jogginghosen, die an mir hängt wie eine Clownshose, und ein T-Shirt, das mir bis zu den Knien reicht. Ich fühle mich auch nicht sonderlich geschmeichelt von dem Nightmare Before Christmas -Logo auf der Brust, aber man nimmt halt, was man bekommt.
Ich beschließe, den Rock mitzunehmen – Rose wird ihn wahrscheinlich nicht einmal vermissen. Clarissa winselt, als ob sie meine Gedanken liest.
»Ich verrate nichts, wenn du’s nicht tust«, flüstere ich ihr zu. Sie legt den Kopf auf die Seite, scheint darüber nachzudenken, und augenblicklich hasse ich sie ein klein bisschen weniger.
Das Brummen des Staubsaugers verstummt. Schnell stopfe ich den Rock unter mein T-Shirt und scheuche Clarissa vom Bett und hinaus in den Flur. Ich schließe die Tür hinter mir und schleiche mich zurück in Dans Zimmer.
Nach dem widerlichen Hundegestank und dem süßlichen Parfümgeruch in Roses Zimmer ist der abgestandene Zigarettenrauch, der den Raum durchzieht, fast schon eine Wohltat. Aber Dan ist so ein Chaot! Der Kaffeebecher auf der Fensterbank ist voller Zigarettenkippen, und überall liegen dreckige Socken, Computerspielhüllen und Boxershorts herum. Neben seinem Bett gibt es einen Friedhof von Zigarettenstummeln, die er achtlos auf einer CD ausgedrückt hat. Er ist zu einem passionierten Kettenraucher geworden – er qualmt sogar mehr als ich. Von der Stange Zigaretten, die ich mitgebracht habe, ist kaum noch etwas übrig. Ich muss das halbe Zimmer durchwühlen, um noch eine halb volle Packung zu finden.
Ich lasse mich vor seinen Laptop fallen und gehe schnell seinen Gmail-Account durch (nichts Interessantes, nicht mal Spam), dann klicke ich die Kinder vermisst! -Seite auf Facebook an, die ich wie ein Stalker belauere, seit wir vor drei Tagen zurückgekommen sind. Nichts Neues. Ich weiß nicht, ob ich erleichtert oder enttäuscht sein soll. Seit drei Tagen durchstöbere ich die Nachrichtenseiten und forsche bei Google nach, aber nirgendwo im Netz findet sich etwas über ein vermisstes weißes Kind. Dan beruhigt mich immer wieder, dass reiche weiße Leute auf jeden Fall ein riesiges Medientheater veranstalten, wenn sie glauben, dass ihr Kind entführt wurde. Trotzdem nervt es mich unendlich, dass ich mich nicht mal an den Namen des Jungen erinnern kann.
Soll ich noch mal versuchen, Zinzi zu erreichen? Ich spiele in meiner Tasche am Handy herum, kann mich aber nicht entscheiden. Ich habe es versucht, als wir zurückgekommen sind, aber ihr Telefon hat nur gepiept, dann war die Verbindung weg. Das Miststück ignoriert mich entweder oder will
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