Labyrinth der Spiegel
auch gelungen«, erwidere ich.
Vika stößt den Rauch ihrer Zigarette aus und fragt in leicht ironischem Ton: »Vielleicht bin ich ja auch wirklich so? Tief in mir drin?«
»Mir doch egal.«
Das ist gelogen. Und wie. Trotzdem erhebt Vika keinen Einwand.
»Hat Zuko dich beruhigt?«, wechselt sie das Thema.
»Fast.«
»Er versteht was von der Sache. Du kannst deinen Bekannten getrost hierherbringen.«
Ich sehe auf die Uhr. Mir bleibt noch etwas Zeit.
»Das ist nicht so einfach, Vika. Ich muss zusehen, ihn zum richtigen Zeitpunkt abzupassen.«
»Ihr seid ein komisches Völkchen, ihr Hacker«, bemerkt Vika. Das finde wiederum ich komisch. Da hält sie mich also für einen Programmierer, der den vollen Durchblick hat!
»Darf ich bei dir schlafen?«
»Was?«
»Schlafen. Ich bin jetzt beinah vierundzwanzig Stunden in der Tiefe . Und für diese Sache brauche ich einen klaren Kopf.«
Vika – und das ist ein Wunder! – geht ganz sachlich an die Frage ran. »Soll ich dich wecken?«
»Ja, in zwei Stunden.«
»Dann schlaf! Fühl dich wie zu Hause. Ich weck dich nachher.«
Sie verwuschelt mir die Haare, eine Geste, die eher zu Madame passen würde, mir aber trotzdem gefällt. Sie nickt zum Bett rüber und verschwindet durch die Tür, die in ihr Körperlager führt. Eine Minute später dürfte Madame ihr Zimmer verlassen und sich daranmachen, ihren Mädchen Anweisungen zu geben.
Ich selbst lasse mich zu einer kleinen unfairen Aktion hinreißen, indem ich meiner Jackentasche eine Rolle mit einem Faden entnehme, an dessen einem Ende ein Senkblei befestigt ist.
Da der Wind nicht eine Minute nachlässt, schwingt der Faden unablässig hin und her. Trotzdem gelingt es mir, ihn bis zum Ende abzurollen. Als das Senkblei aufschlägt, zähle ich die roten Markierungen nach, die es jeden Meter gibt.
Siebeneinhalb Meter. Mit einem einzigen Laken wäre es nicht getan. Aber im Puff gibt es bestimmt Seile, zumindest in den Zimmern für die Sadomasos.
Ich werfe die Rolle aus dem Fenster. Mir ist nicht ganz wohl in meiner Haut, aber ich tröste mich mit dem Gedanken, dass Vika diesem kleinen Unterfangen bestimmt zugestimmt hätte.
Schließlich hat sie gesagt: Fühl dich wie zu Hause!
Ich lasse mich auf das schmale Bett fallen, direkt auf die Tagesdecke und schließe die Augen. Doch bevor ich einschlafe, verlasse ich noch einmal den virtuellen Raum, um Windows Home zu befehlen, mich in zwei Stunden zu wecken.
Der Schlaf lässt nicht auf sich warten. Irgendwie hoffe ich, ich würde wieder eine Geschichte oder einen prophetischen Traum träumen, genau wie beim letzten Mal, als Alex den Loser erschossen hat. Aber ich träume nur Quatsch zusammen.
Von einem Regenbogen, der über Deeptown leuchtet. Von blendenden Explosionen, fast wie beim Deep-Programm. Allerdings besteht dieser Regenbogen aus Stufen. Es ist die biblische Himmelsleiter. Ich gleite sie hoch, fast
wie der Computermagier in seinen geflügelten Pantoffeln. Die Stufen sind von unterschiedlicher Dichte, bei den violetten und blauen breche ich ein, bei den grünen kann ich den Fuß leicht aufsetzen, bei den gelben fest auftreten. Die Stadt leuchtet hell und feierlich, ich kann sie durch den bunten Nebel hindurch sehen.
Im Traum weiß ich sogar, warum ich in den Himmel wandere. Irgendwo dort oben befindet sich nämlich die Kristallkuppel der Tiefe , die die Welt in zwei Hälften teilt. Und die muss ich zerschlagen, mit Maniacs Waffe oder mit bloßen Händen, je nachdem. Dann wird das Kristall klirrend wie blendender Sternenregen auf die Stadt rieseln. Denn Sterne sind aus Kristall, das steht außer Frage. Aus scharfem Kristall, das das Licht unserer Augen spiegelt.
Und es wird etwas passieren. Vielleicht verbrennen die Sterne uns. Vielleicht werden sie kalt und segeln auf den ausgestreckten Handteller. Ich weiß nicht, was mir lieber ist.
Hauptsache, ich mache keinen Fehler und schlage rechtzeitig zu. Denn die Zeit, wo ich diese Barriere in Millionen von Kristallsternen verwandeln kann, ist bereits festgesetzt. Und sie ist fast gekommen, diese Zeit.
»Es ist Zeit … Leonid, Zeit für dich …«
Durch das Flüstern von Windows Home geweckt öffne ich die Augen. Es vergehen ein paar Sekunden, bevor ich weiß, wo ich bin.
Und noch ein paar, bevor Vika eintritt. »Bist du wach?«
Ich nicke, setze mich in dem zerwühlten Bett auf und reibe mir die Stirn. Ich habe einen entsetzlich schweren
Kopf. Entweder hätte ich noch länger schlafen müssen oder mich gar
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