Labyrinth der Spiegel
nicht hinlegen dürfen.
»Ich mach uns einen Kaffee«, sagt Vika.
Gegen die Holzwand gelehnt beobachte ich Vika. Sie holt aus einem schwarzen – nicht schmutzigen, sondern alten – Büfett einen Leinenbeutel mit Kaffeebohnen, die sie in einer kleinen Handmühle aus funkelnd poliertem Kupfer mahlt. Mit einer routinierten Handbewegung zündet sie den Herd an.
Es riecht nach trockenem Kiefernholz und gebrühtem Kaffee. Und nach einer abstrakten, nicht-medizinischen Sauberkeit … wie das Wasser eines Bergbachs oder wie heißer Sand unter der Sonne.
Es riecht gut.
Ich könnte jetzt mein Verslein aufsagen und mich in die Realität absetzen.
Dort echten Kaffee kochen und ihn sogar mit den Resten des Kognaks veredeln. Mich mit kaltem Wasser waschen.
Aber ich soll verflucht sein, wenn ich das tue.
Denn all das hier ist viel echter: die saubere Luft, das sprudelnde Wasser, der Kaffeesatz am Boden der Tasse, der fürsorgliche Blick Vikas. Außerhalb der Tiefe , da gibt es nur ein chaotisches, verstaubtes Zimmer, Feuchtigkeit und das faule Wasser aus dem Hahn.
In letzter Zeit packt mich dieser selbstmörderische Wunsch ziemlich oft: so zu sein wie alle …
»Willst du einen Kognak?«, fragt Vika. Sie gießt mir ein kleines Glas Achtamar ein.
»Ich habe noch fünf Minuten«, teile ich ihr mit. »Dann … muss ich los.«
»Und wenn du wiederkommst, bist du nicht allein?«
»Das hoffe ich jedenfalls.«
»Nimm deinen Freund bei der Hand, wenn du das Etablissement betrittst. Dann kriegt er auch einen privilegierten Status. Ich werde den Magier bitten, sich darum zu kümmern.«
»Danke.«
»Dank lieber Madame. Schließlich hat sie hier das Sagen.«
»Madame und ich, wir sind alte Freunde, deshalb erlaubt sie mir das auch«, erwidere ich lächelnd.
Am Ende trinke ich doch noch zwei Tassen Kaffee und zwei Gläschen Kognak, bevor es wirklich Zeit für mich wird.
Höchste Zeit.
Als ich gehe, fängt Vika an aufzuräumen. Unwillkürlich fallen mir jene Ersatzfamilien ein, die in der letzten Zeit immer öfter in Erscheinung treten. All diese Pärchen, die in unterschiedlichen Städten leben und sich in Deeptown eine gemeinsame Wohnung mieten. Angeblich lieben sie ihre häuslichen Pflichten, das Staubsaugen und das Wäschewaschen – als würde ihre Verbindung real, sobald sie einen gemeinsamen Alltag imitieren.
Haben Sie Familie?
Ja. Meine Freundin ist Prostituierte, wir haben eine kleine Berghütte im Puff. Kommen Sie doch mal vorbei, sie macht einen wunderbaren Kaffee. Bei uns ist immer alles hübsch sauber und gemütlich, selbst nach einem Erdbeben!
Dass ich bei dieser Vorstellung nicht ausflippe, jagt mir einen Schrecken ein.
Die Situation muss geklärt werden. Wie auch immer.
Auf dem Weg zum Eingang des Labyrinths komme ich an dem kleinen Pavillon einer Luftfahrtgesellschaft vorbei, wo sich der Systemadministrator langweilt. Neben dem Pavillon kauert ein Bettler. Auch das ist ein neues Phänomen, Schnorren im virtuellen Raum, vor einem Monat hat es so was noch nicht gegeben.
Der Bettler wirkt gepflegt, auch wenn er nur Lumpen trägt und klapperdürr ist. Seine Figur flackert leicht und bringt lediglich abgehackte Bewegungen zustande. Auf diese Weise will er die geringe Leistungsfähigkeit seines Modems und die Dürftigkeit seiner Software demonstrieren.
»Help me!«, stöhnt der Bettler.
»Gott wird dir helfen«, verspreche ich ihm.
»Herr Hacker, wenigstens einen Dollar«, jammert der Bettler mir nach.
Angeblich sind die meisten dieser Bettler Russen. Angeblich braucht niemand von ihnen wirklich Geld. Das ist nur ein Spaß, den sich die reichen »Neuen Russen« erlauben, eines ihrer seltenen Vergnügen. Betteln und als Armer herumlaufen. Ich nehme an, es handelt sich um eine relativ effiziente Psychotherapie, die gerade up to date ist. Maniac behauptet jedenfalls, er habe einem dieser Bettler mal einen Marker angeheftet – und dieser habe sich als Direktor einer großen Bank herausgestellt.
»Ich habe für Microsoft gearbeitet«, brummt der Bettler, der mir hinterherstapft. »Einmal habe ich Windows ein unausgegorenes Programm genannt und OS/2 gelobt. Am nächsten Tag hat mich Bill Gates höchstpersönlich rausgeschmissen und auf die schwarze Liste gesetzt. Dabei war ich ein Hacker, dem du nichts vormachen
konntest … bevor ich so auf den Hund gekommen bin …«
»Welchen IRQ belegt dein Modem?«, nehme ich ihn ins Verhör, nachdem ich mich abrupt zu ihm hingewandt habe. »Wovon hängt
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