Labyrinth der Spiegel
Und jeder kann sich spielend leicht jede Information beschaffen und sie bearbeiten, vergiss das nicht. Wer wirklich Interesse daran hat, kriegt irgendwann alles raus!«
»Und was soll ich deiner Meinung nach jetzt tun?«
»Untertauchen!«, erwiderte Schurka, während er die Reste des Kognaks verteilte. »Mir würde es nämlich gar nicht passen, wenn wir nie wieder ein Bierchen zusammen trinken könnten. Und noch viel weniger würde es mir passen … wenn du tot wärst. Verdammt nochmal, was hast du da bloß angerichtet?«
»Ich habe einen Menschen gerettet.«
»Nur kann dich das deinen eigenen Kopf kosten!«
Ich nickte. Maniac hatte ja Recht. In seinen Worten lag die Logik eines normalen Hackers, nicht die eines arroganten Divers, der aus der Tiefe auftauchen kann.
Allerdings: Wohin wollte ich abtauchen, wenn ich in der realen Welt gejagt werden würde?
Alle Besucher der virtuellen Welt haben Minderwertigkeitskomplexe wegen ihrer Körperkraft: Wenn du dich in der virtuellen Welt wie ein Gott fühlst, ist es in der realen nur um so niederschmetternder, bloß ein Durchschnittspinsel, bloß einer unter einer Milliarde zu sein. Deshalb lieben wir alle die Kampfkünste und die Kriegsspiele, kaufen uns Gas- und Druckluftpistolen, stiefeln hartnäckig in Fitnessstudios und wirbeln Abend für Abend mit dem Nunchaku herum. Denn auch im realen Leben wollen wir uns – und zwar unbedingt – so unverletzlich fühlen wie in der Welt hinterm Monitor. Nur dass das nie klappt.
Wie oft hatte ich in der Tiefe schon etwas gehört wie: »Weißt du noch? Wie die Kerle auf ihn los sind … hat sich dann mit gepanschtem Wodka vergiftet … ist aus dem Fenster gesprungen, ohne einen Brief zu hinterlassen … hatte die Mafia am Hals …«
Ja, wir erinnern uns daran, ja, wir wissen Bescheid.
Aber nur in der Welt hinterm Monitor sind wir Götter.
»Ich brauche vermutlich noch vierundzwanzig Stunden«, presste ich leise heraus. »Danach verdrücke ich mich … nach Sibirien oder in den Ural.«
»Und sag niemandem, wohin du gehst«, beschwor mich Maniac. »Nicht mal mir.«
Die Gläser waren leer. »Soll ich uns noch was besorgen?« , fragte er.
»Ich muss noch die Figur designen.«
»Schade. Okay, dann start mal den Bioconstructor!«
Kurz darauf saßen wir vorm PC, entrissen uns gegenseitig die Maus und hämmerten auf die Tastatur ein. Der erste Avatar wanderte in den Papierkorb, der war zu auffällig. Ein zwei Meter großer Muskelprotz mit einem Langschwert am Gürtel. Auf den würden sich sofort sämtliche Abenteurer stürzen, wie Schurka völlig zu Recht einwandte.
Die nächste Figur war harmlos und sogar mitleiderweckend. Ein abgerissener, alter Bettler. Dem würde bestimmt niemand Schwierigkeiten machen, aber er würde den Loser auch keine fünf Meilen schleppen können. Diesmal legte ich ein Veto ein, ohne es näher zu begründen.
Der dritte Versuch klappte.
Der Typ auf dem Bildschirm war recht kräftig, hatte dabei aber ein so naives Jungengesicht, dass ich beinahe kotzen musste. Wir steckten ihn in einen hellgrünen Mantel und hängten ihm eine Leinentasche über die Schulter.
»Ein Heiler!«, stellte Maniac zufrieden fest. »Ein Mensch, der heilt. Ohne triftigen Grund wird dir da niemand querkommen, weder ein Elb noch ein Ork. Medizin brauchen schließlich alle.«
Er stopfte allerlei Dosen, Fläschchen und getrocknete Blätter in die Tasche, die er im Katalog für Accessoires auswählte.
»Und? Werde ich in der Welt der Rollenspiele tatsächlich heilen können?«
»Selbstverständlich. Bei denen ist es so, dass du als Figur mit ganz bestimmten Fähigkeiten in ihre Welt eintrittst. Zum Beispiel kannst du dich durch Kampfkunst oder Weisheit oder eben die Gabe zu heilen auszeichnen. Je länger du dich dann in dieser Welt bewegst, desto ausgeprägter treten deine Fähigkeiten hervor. Wenn du dich Heiler nennst, kannst du also von Anfang an kleinere Wunden, Brüche und Verrenkungen heilen.«
»Interessant«, bemerkte ich und betrachtete meine neue Persönlichkeit. Allmählich entwickelte ich Sympathie für sie. »Danke. Ich hätte bestimmt einen Kämpfer designt.«
»Und dann von irgendeinem eingefleischten Spieler ein Schwert über den Schädel gezogen bekommen.«
»Und als wer trittst du in dieser Welt auf?«
»Du verrätst es auch niemandem?«, fragte er nach einer Weile zurück.
»Bestimmt nicht.«
»Ich bin die Elbenherrscherin Ariel.«
»Bitte?«
»Das ist wegen Goromir.«
Kurz verschlug es
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