Labyrinth der Spiegel
und hält einen Karabiner in der Hand. Mit undurchdringlicher Visage steht er stocksteif da. Ob er ein Mensch ist? Im Grunde eine blöde Frage – denn ein gut geschriebenes Programm kannst du kaum von einem Menschen unterscheiden. Ich gehe an dem Posten vorbei in eine kleine Eingangshalle. Durch die Fenster fällt strahlender Sonnenschein. An den Wänden stehen Zeitungstische und weiche Sessel, mitten im Raum sitzt an einem größeren Tisch eine lächelnde junge Frau, die Sekretärin und offenbar ein Mensch.
»Guten Tag«, begrüße ich sie.
Die Sekretärin runzelt kurz die Stirn. »Guten Tag«, erwidert sie dann. Eine weiche, angenehme Stimme. Anscheinend bin ich an eine russische Mitarbeiterin des Unternehmens weitergeleitet worden.
»Ich muss den Chef sprechen«, erkläre ich ohne Umschweife.
»Könnten Sie sich eventuell etwas konkreter ausdrücken?«
Die Frau ist die Höflichkeit in Person. Trotzdem komme ich an ihr nicht leichter vorbei als an dem Monster in Al Kabar.
»Ich habe eine vertrauliche Information für den Chef des Labyrinths.«
»Dennoch möchte ich Sie bitten, kurz das Anliegen Ihres Besuchs zu umreißen.«
Dann wollen wir mal!
»Ich möchte Herrn Guillermo Aguirre darüber in Kenntnis setzen, dass mir sowohl jenes kleine Problem, das kürzlich im Labyrinth aufgetreten ist, wie auch die Tatsache, dass die mit Ihnen kooperierenden Diver es nicht lösen können, bekannt ist. Und ich möchte meine Dienste bei der Lösung dieses Problems offerieren.«
»Einen Moment bitte«, erwidert die Sekretärin.
Sie erhebt sich ohne jede Hast und verschwindet durch eine der Türen, die ins Innere des Hauses führen. Ich warte geduldig. Alles ist sehr gediegen und konservativ. Keine Computer, keine Monster. Als befände ich mich nicht in der Verwaltung der düstersten und teuersten Attraktion in der Geschichte der Menschheit, sondern im
kleinen Kontor einer Firma, die mit Toilettenpapier handelt.
Die Frau bleibt lange weg. Da ich keine Lust habe, mir weiter die Beine in den Bauch zu stehen, setze ich mich in einen der Sessel und blättere die auf dem Tisch liegenden Zeitungen durch. Es ist ruhig und still. Von mir abgesehen ist hier niemand, obwohl es wahrscheinlich irgendwo noch weitere Besucher gibt. Wir sehen einander bloß nicht, sie sind an andere Mitarbeiterinnen der Firma weitergeleitet worden.
»Herr …«
»Revolvermann«, sage ich und stehe auf. »Nennen Sie mich Revolvermann.«
Die Frau nickt.
»Herr Guillermo Aguirre empfängt sie jetzt.«
Aus ihrer Stimme höre ich eine leichte Neugier heraus. Offenbar ist sie nicht darüber im Bild, dass es im Labyrinth irgendwelche Probleme gibt.
Ich gehe durch die Tür, auf die sie zeigt, und erstarre.
Wow!
Der Raum hat die Form eines ungleichmäßigen Dreiecks. Eine Wand ist völlig gläsern, durch sie blickt man weit hinunter auf die in rotes Abendlicht gegossene Stadt. Das ist nicht Deeptown, das ist Twilight City! Der Schreibtisch von Herrn Aguirre, dem Sicherheitschef des Labyrinths, ist hufeisenförmig. Auf ihm stehen drei Computerbildschirme, eine Tastatur, sonst nichts. Herr Guillermo erhebt sich bereits, um mich zu begrüßen. Ein älterer, hagerer, extrem braungebrannter Mann in Shorts und T-Shirt.
»Guten Tag.« Er streckt die Hand aus. »Sie sind also der Revolvermann, ja? Nennen Sie mich doch bitte einfach Willy.«
Von mir aus.
Ich drücke seine Hand.
»Sie haben da einige interessante Sachen erzählt … über Probleme … pah! Über Diver und Hilfe … ha!« Willy lacht und gestikuliert wild. »Welche Hilfe wollen Sie uns denn anbieten?«
Was für ein interessantes Übersetzungsprogramm! Es imitiert einen starken Akzent und streut Füllwörter ein, als ob Guillermo tatsächlich selbst Russisch spräche. Das schafft natürlich gleich eine ganze andere Atmosphäre.
»Lassen Sie uns offen miteinander reden«, schlage ich vor. Willy alias Guillermo runzelt die Stirn und nickt. »Ich bin ein Diver.«
»Ja?«, fragt Willy höflich zurück. »Und was ist das?«
Ich spendiere ihm ein Lächeln. »Das könnten Ihnen Ihr ukrainischer und Ihr kanadischer Mitarbeiter sicher schneller erklären«, erwidere ich. »Ich meine, die beiden Diver, die fest für Sie arbeiten.«
Willy sieht mich an und schweigt. Lange. Schließlich nickt er. »Ich habe immer angenommen, Anatole sei Russe. Er ist Ukrainer?«
Respekt! Der Mann Ohne Gesicht ist besser informiert als der Sicherheitschef vom Labyrinth.
»Das sind Details«, sage
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