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Labyrinth der Spiegel

Labyrinth der Spiegel

Titel: Labyrinth der Spiegel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lukianenko Sergej
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einmal. »Der Loser.«
    Guillermo schweigt, jedoch nicht um des theatralischen Effekts willen, denn auf dem Bildschirm ist nichts Ungewöhnliches zu sehen, sondern weil er nachdenkt. »Das ist unser Problem, ja, Revolvermann?«

1010
    Kein normaler Bewohner Deeptowns kann die Tiefe selbstständig verlassen. Er hat einfach keine Möglichkeit, seinen Computer zu finden, den Befehl zum Verlassen einzugeben oder sich per Stimme mit dem Betriebssystem in Verbindung zu setzen. Nur in jenen virtuellen Häusern, in denen gezeichnete Analogien echter Computer stehen, macht das Unterbewusstsein gnädigerweise eine Ausnahme. Deshalb kann er die Tiefe nur da wieder verlassen, wo er sie auch betreten hat, in seinem fiktiven Haus, das ebenso ein Palast wie eine Hütte sein kann, in dem aber ein »echter« Rechner stehen muss.
    Genau deswegen existieren auch die Timer. Sie sind in alle Programme integriert, angefangen bei Windows Home von Microsoft bis hin zum russischen Wirt-Navigator und dem Deep-Commander. Die maximale Zeit für einen Aufenthalt in der Tiefe beläuft sich auf achtundvierzig Stunden. In dieser Zeit stirbt niemand, weder an Hunger noch an Dehydrierung. User mit gesundem Menschenverstand geben sich jedoch mit weniger zufrieden, mit ein paar Stunden, mit einem Tag. Maniac, der seinen Timer auf
sechsunddreißig Stunden eingestellt hat, ist im Grunde schon eine Ausnahme. Wenn ein Mensch, der ein paar Tage in der Tiefe gewesen ist, wieder zu sich kommt, ist das ein streng riechendes Schauspiel.
    Klar, man kann den Timer überlisten und ausschalten. Oder überlisten und ein paar Nullen an die achtundvierzig Stunden hängen. Aber solche Kamikazetypen sind selten  – und sie nehmen stets ein erbärmliches Ende.
    So zum Beispiel der Loser.
    Das Labyrinth des Todes durchquerst du nicht in einem Rutsch. Da versagen dir einfach die Kräfte. Im virtuellen Raum wirst du zwar nicht müde, aber trotzdem gibt es eine Grenze für das, was du wegstecken kannst. Deshalb können die Spieler am Ende jedes Levels auf das Menü zugreifen, um ihre Einstellungen einzugeben, in die normale Tiefe zurückzukehren und irgendwann wiederzukommen.
    Es finden sich natürlich immer wieder Optimisten, die in einer einzigen Sitzung durchs Labyrinth zu marschieren beabsichtigen. Damit wollen sie jenes erste, legendäre Eintauchen in den virtuellen Raum wiederholen. Sie überlisten den Timer, manchmal ganz allein, manchmal mit einem Programm, das sie sich von einem Hacker besorgt haben. Sie schneiden sich damit ihren Rückweg ab. Und tauchen bis ganz zum Grund hinunter.
    Wir Diver sind es, die sie dann rausholen. Alle größeren Spielcenter stehen in Kontakt zu einem von uns. Die ganz großen Center leisten sich sogar feste anonyme Mitarbeiter. Es ist billiger, uns zu bezahlen, als die Verwandten eines an Entkräftung gestorbenen Spielers zu entschädigen.

    Ich betrachte den Loser. Er trägt einen normalen Camouflageoverall und eine Gasmaske. Bewaffnet ist er lediglich mit einer Pistole. Vielleicht hat er es so bis zum dreiunddreißigsten Level geschafft, vielleicht ist er in dieser Etappe schon einmal umgebracht und daraufhin automatisch mit einem Minimum an Ausrüstung am Beginn des Levels wiederbelebt worden.
    »Scheiße!«, entfährt es mir.
    »Was?«, will Guillermo wissen.
    »Ist er schon lange im Labyrinth?«
    »Seit neununddreißig Stunden. Wir behalten alle Spieler im Auge. Vom Einloggen an.«
    So, so. Hat sich der Mann Ohne Gesicht dann mehr oder weniger sofort, nachdem der Loser im Labyrinth aufgekreuzt ist, für ihn interessiert? Ihn beobachtet – und angefangen, uns Diver zusammenzutrommeln?
    »Vielleicht ist sein Timer auf achtundvierzig Stunden eingestellt.«
    »Kann sein.« Guillermo seufzt. »Aber wie unappetitlich! Er pinkelt und scheißt in den Overall! Igitt!«
    Warum hat der Mann Ohne Gesicht Alarm geschlagen?
    Bisher ist doch noch gar nichts passiert. Bisher geht es nur um einen weiteren arroganten Spieljunkie.
    »Sitzt er schon lange so da?«
    »Etwa seit vierundzwanzig Stunden«, erwiderte Guillermo. »Ja, das ist wirklich seltsam. Fünfmal hat er versucht, das Level zu meistern, dann hat er klein beigegeben. Hat sich einfach am Eingang hingekauert.«
    »Und was haben Sie unternommen?«

    »Wir haben Anatole geschickt. Er schafft das eigentlich immer … jemanden bis zum Ausgang des Levels zu schleusen.«
    »Und diesmal?«
    Ich muss ihm jede Information aus der Nase ziehen, das jedoch nicht, weil Guillermo mit der Sprache

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