Lacrima Nigra (Phobos) (German Edition)
zu Kichern ließ nach. Ein Gehirn hat eben keine Löcher.
Es sei denn, man schießt ein paar Kugeln hindurch. Aber dann würde nicht nur das Gedächtnis verschwinden. Dann würde es gänzlich aufhören zu funktionieren. Die Speicherung der Informationen im Gehirn war nur etwas komplizierter, als in einem Computer. Ein Gehirn bot eine differenziertere Vernetzung, es entschied selbst, welche Informationen sofort abrufbar waren und welche sozusagen tiefgefroren, also verdrängt wurden. Die gefährlichen, irritierenden, unliebsamen Erinnerungen werden ganz tief weggesteckt. Aber sie verschwinden nicht. Unter bestimmten Umständen können auch sie wieder geborgen werden.
Nein, Elko war sich jetzt ganz sicher. Hier waren keine Informationen aus seinem Gehirn verschwunden, das Glas war verschwunden, die Dose, der Kanaldeckel...und Mela.
Elko ging vorsichtig, um sein verletztes Knie nicht über Gebühr zu beanspruchen, mit dem Glas zurück ins Wohnzimmer und goss sich neues Sprudelwasser ein. Er stellte das Glas griffbereit auf den Wohnzimmertisch. Dann ging er ganz harmlos ein wenig im Wohnzimmer umher, vermied jeden Blick zum Glas, wanderte zur Toilette, wusch sich die Hände, gründlich und ausgiebig, kehrte dann ganz langsam zurück zu seinem Sessel. Sein Herz schlug ihm bis zum Hals, als er seinen Blick zu der Glasplatte des Tisches führte. Und da stand das Glas, harmlos und unschuldig. Es hatte nicht geklappt.
Wahrscheinlich fange ich wirklich an zu spinnen. Kein Mensch würde verstehen, was ich hier treibe, dachte er. Elko zwang sich ganz langsam in den Sessel, cool und lässig, um ja nicht völlig seine Haltung zu verlieren (und den Verstand). Er schlug die Beine übereinander, nahm das Glas geziert in seine linke Hand, setzte es zum Trinken an die Lippen, aber seine Lippen suchten vergebens den Kontakt zum kühlen Nass. Es war kein Wasser mehr im Glas.
Obwohl Elko dieses Geschehen nicht ganz verstand, war er doch irgendwie erleichtert. Seine bisherigen Überlegungen stimmten also. Dieses Wasser war verschwunden, weil es den unbewussten Auftrag dazu bekommen hatte. Das wiederum legte den Gedanken nahe, dass auch die Informationen von den Chips verschwanden, weil sie den Auftrag dazu hatten. Dabei war nur noch die Frage zu klären, von wem, von dem "warum" gar nicht zu reden.
In der Welt der absoluten Kleinheiten gab es offenbar Dominanzprobleme. Elko dachte gelassen, dass es in der Makrowelt auch nicht viel besser aussah. Aber wer konnte in der Mikrowelt der Moleküle seinen Dominanzwillen ausspielen? Aber das hatte Zeit, das würde er später klären. Jetzt würde er erst noch dieses Gefühl genießen, mit seinen Nachforschungen ein bisschen erfolgreich gewesen zu sein.
Elko betrat hinkend die Küche und machte sich voller Elan daran, sich einen Instantkaffee aufzuschütten. Nachdenklich betrachtete er die braune Brühe in der Tasse. Die blieb natürlich, denn Kaffee mochte er, hatte er immer gemocht, schon als Kind. Pfeifend kehrte Elko wieder ins Wohnzimmer zurück, wo er sich nunmehr mit der naheliegenden Frage beschäftigte, ob der Vorgang des Verschwindens nicht auch umkehrbar sei in einen Vorgang des Erscheinens. Nehmen wir nur einmal das Verschwinden von Mela, dachte Elko. Wenn ihr Verschwinden der Beziehungsstruktur zwischen mir und ihr entspricht, müsste es doch auch eine Beziehungsstruktur geben, die ihr Wiedererscheinen nicht nur ermöglicht, sondern sogar herbei führt.
Was bitte, ist eine Beziehungsstruktur? Die Kooperation, bzw. Nichtkooperation zweier Willensenergien. Er musste es wollen .
Wohltuend rann der heiße Kaffee Elkos ' Kehle hinunter. Unwillkürlich richtete er sich im Sessel etwas auf. Seine Wirbelsäule straffte sich. Ein heißer Strom frischer Energie ballte sich in seinem Körper in Höhe seiner Hüften zusammen, rannte wie ein Kugelblitz seine Wirbelsäule entlang, um in seinem Kopf vielfarbig und kraftvoll wie ein Feuerwerk zu explodieren. So hatte er es immer wieder in seinen Yoga-Stunden trainiert. Elko konzentrierte seine ganze Energie in die Worte: "Mela! Wo immer du jetzt bist, denk an mich."
Dieser Gedankenimpuls durchraste die Labyrinthe seines Gehirns, nahm gewissermaßen Anlauf, durchbrach berstend die Mauern der Zeit, durchbrach die Grenzen von Elkos Körper, formte sich über ihm mit unglaublicher Kraft aus. Für ihn selbst in keiner Weise mehr kontrollierbar. Er wurde er zu einem wabernden, lohenden Schrei, der in den Kosmos stieg, um sich dort mit der immer
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