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Lacrima Nigra (Phobos) (German Edition)

Lacrima Nigra (Phobos) (German Edition)

Titel: Lacrima Nigra (Phobos) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Schuck
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überdecken. Eben brachte sich mit einem inkonsequenten Pferdsprung in eine ungünstige Position, die Mephisto ihm natürlich nicht etwa verzieh, sondern brutal gegen ihn ausnutzte. Eben sah, dass es ihm schwer fallen würde, diese Partie noch für sich zu entscheiden. Er stand abrupt auf, zügelte sich dann aber wieder und schritt mit beherrschtem Schritt, eben wie ein entspannt in sich ruhender Urlauber, den nichts zog und nichts trieb, durch einen schmalen Waldgürtel zum Seeufer hinunter. Auf einer kleinen Betonplattform, die bis ins Wasser ragte, ging er langsam in die Hocke und genoss intensiv den Anblick, den er so sehr liebte. Eben liebte den glänzenden Wasserspiegel, der vollkommen klar und deutlich das Braun der Uferränder, das Grün des Waldgürtels, das Blau des Himmels und das Weiß der vorüber ziehenden Wolkenschiffe einfing.
    Der See war wie ein reiner Spiegel. Aber je länger Eben in der Hocke aushielt, erkannte er, dass sich neben all diesen gespiegelten Farben des Himmels und des Ufers noch eine sehr dunkle Eigenfarbe des Sees dazwischen mischte, fast ein Schwarz. Es erschien als Linien oder schon mehr wie schmale Risse zwischen einzelnen Spiegelungen, eine Erscheinung, wie man sie etwa auf alten Ölbildern findet, deren fixierte Oberfläche im Laufe der Zeit zerbrach, während sich die Farben zusammenzogen und ein schwarzes Netz freigaben. Diese neue Entdeckung veränderte die in Eben schwingenden Wellen weiter. Sie wurden zum Sog, und dieser Sog brachte Eben dazu, dass er seine Hand dem schwarzen Netz entgegenstreckte. Erst zögernd, dann aber doch in einer fließenden Bewegung, streckte er den Arm aus, beugte sich noch ein Stück tiefer über das Wasser und tauchte die Hand in das schwarze Nichts.
    Die Hand verschwand.
    Der wellenartige Klang in Eben Lister schwoll zu orkanischem Brausen. Alles, was ihm wichtig war, was ihm harmonisch erschien, alles Lineare, alles Rationale war wie weggeblasen und schaffte gigantischen Kräften Raum, die sich ausgerechnet Ebens arme, sowieso schon angeschlagene Seele ausgesucht hatten, um ihre Fehde, die offenbar schon vor Beginn der Zeiten begonnen hatte, auszutragen. Mit dem letzten Rest bewussten Denkens machte Eben sich klar, dass ihn hier etwas Fremdartiges, ungeheuer Starkes von seiner Hand trennen wollte. Oder wollte ES ihn gar voll und ganz, den ganzen halbkranken (oder halbgesunden) Eben Lister? ES fragte ihn nicht, bat nicht. ES packte einfach seine Hand, gegen seinen Willen und Eben war sich in diesem höchst kritischen Augenblick ganz sicher, dass seine Hand oder sogar er selbst unrettbar verloren war, wenn er sich weiter diesem schwarzen Nichts überließ, das in Wirklichkeit kein Nichts war, sondern der rätselhafte Kampfplatz von Kräften, über die man nur im Flüsterton (wenn überhaupt) sprechen sollte, um sie nicht unbedacht zu wecken. Eben wurde schlagartig klar, dass all die Ängste, die man ihm in der Therapie abzutrainieren gedachte, berechtigt waren. All das, was er dumpf geahnt hatte und was ihn letztlich in einen völlig verwahrlosten und heruntergekommenen Zustand gebracht hatte, stimmte. Ihm wurde klar, dass diese absoluten Kräfte seine winzige Welt, die er mit seinen unzureichenden Sinnen wahrzunehmen in der Lage war, ständig umgaben. Ja, sie vermochten sogar in seine Welt einzudringen, wenn er besinnungslos oder ohnmächtig wurde. Wohl denen, dachte Eben, und dabei traten ihm wehmütige Tränen in die Augen, die ihre Lebensreise an der Oberfläche ihrer Sinne machen, die alle Höhen und alle Tiefen, alles rechts und alles links vom schmalen Grat instinktiv vermeiden können.
    Die Hand.
    Eben bekam die rechte Hand nicht mehr heraus.
    Eben keuchte. Die Kraft, mit der er seine linke Hand gegen den Betonrand stemmte, trieb alles Blut aus ihr heraus. Die Knöchel traten kalkweiß hervor. Seine Rückenmuskeln schwollen zu Schiffstauen an, die eine Zentnerlast zu ziehen hatten. Sein rechter Oberarm verkrampfte so, dass ihn der Schmerz laut aufstöhnen ließ. Der Schweiß lief ihm in Strömen über das Gesicht, beizte seine aufgerissenen, blutunterlaufenen Augen.
    Da kam ihm jemand zu Hilfe. Eben spürte, wie sich ein schlanker Arm um seinen Hals, ein weiterer um seine Brust legte, wie sich zwei Beine rechts und links seines Körpers kraftvoll auf den Beton stemmten. Ein Augenblick der Atemnot, ein Ruck, noch einer und Eben war frei. Er lag zitternd auf der Betonplattform, und eine Frau in seinem Alter kniete neben ihm, lächelte ihm

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