Lacunars Fluch, Teil 3: Wüstensöhne
»Zahira ist tot. Und die Verschwörung ist ein Luftgespinst.«
»Und der Brief?«
»Ja, aber nach allem, was wir wissen, hat Gaidaron ihn wohl geschrieben. Beweisen können wir es nicht, aber die Verdachtsmomente gegen ihn sind so stark, dass ich dafür bin, Rastafan vollständig vom Vorwurf der Verschwörung und des Landesverrats freizusprechen.«
Außer Lenthor stimmten alle zu. »Und Gaidaron?«, fragte er. »Wie soll er ohne Beweise verurteilt werden?«
»Erlaubt mir, einen Vorschlag zu machen«, sagte Anamarna. »Wenn wir Rastafan von aller Schuld freisprechen, dann ist er der zukünftige König. Er ist derjenige, der Recht spricht. Also überlassen wir ihm das Urteil über Gaidaron.«
»Aber auch der König darf ohne Beweise kein Urteil fällen«, gab Astvar zu bedenken.
»Es gab immer schon Prozesse, wo die Verdachtsgründe so engmaschig waren, dass sie als Beweise gelten konnten. Lassen wir das endgültige Urteil von Rastafan fällen und geben wir ihm Gelegenheit zu beweisen, dass er ein weiser König ist.«
*
Als die Männer in den Gerichtssaal zurückkehrten, schlug ihnen erwartungsvolles Schweigen entgegen. Das Ende des Prozesses kam dann schnell und unerwartet. Suthranna teilte den Versammelten ihren Entschluss mit. Damit war Rastafan frei, und obwohl er noch die Fesseln trug, stand er jetzt als König vor ihnen.
Er hatte gesiegt. Die Erleichterung machte ihn schwindelig. Er fasste Gaidaron, seinen unterlegenen Gegner, scharf ins Auge. Ihm sollte er das Urteil sprechen: seine erste Handlung als König. Er spürte die ungeheure Verantwortung, denn an seinen Worten würde man ihn messen. Sie würden entscheiden, ob man ihn für einen fähigen Herrscher hielt. Schonte er Gaidaron, hielte man ihn für schwach. Ging er zu hart mit ihm ins Gericht, legte man es ihm als Racheakt aus.
»Bevor ich das Urteil verkünde, möchte ich gern losgebunden werden. Ein gefesselter König gibt ein schlechtes Bild ab.«
Einige lachten. Andere, die mit Gaidaron gerechnet hatten, schwiegen entsetzt. Sie mussten sich Hals über Kopf auf den neuen König einstellen, und nicht für jeden von ihnen würde das einfach werden.
»Gaidaron, sieh mich an!«
Gaidaron erhob sich und starrte mit marmornen Zügen an ihm vorbei.
»Deine Absichten waren abscheulich, und ich halte jede Einzelne für wahr, aber bewiesen wurden sie nicht. Deshalb bleibst du am Leben. Doch du verlierst den Anspruch auf den Thron auf Lebenszeit. Auch nach meinem Tod wirst du nicht König werden. Dein Geburtsrecht erkläre ich hiermit für nichtig. Du wirst dich in den Mondtempel zurückziehen und dort deinen gewöhnlichen Pflichten nachkommen. Mache dich um das Wohl der Menschen verdient, aber mische dich niemals wieder in die Politik ein. Du bist Mondpriester und sollst es bleiben. Noch eins, Gaidaron: Du weißt, du hättest es verdient, auf dem Pfahl zu enden, und es wird immer einer für dich bereitstehen. Ob er zum Einsatz kommen wird, liegt allein bei dir.«
»Nimmst du das Urteil an, Gaidaron?«, fragte Suthranna.
Gaidaron nickte kurz und schwieg. Seine Niederlage war vollkommen, die öffentliche Demütigung gelungen, das milde Urteil erniedrigend. Beinahe wünschte er sich, Rastafan hätte das Todesurteil über ihn verhängt.
»Und was ist mit Borrak?«, fragte Astvar, der Gerechte. »Er hat es versäumt, Gaidarons Mordauftrag anzuzeigen.«
Rastafan zuckte die Achseln. »Er ist doch schon halb tot vor Angst. Will ihn jemand ganz totschlagen? Von mir aus soll er wieder an seine Arbeit gehen.«
Suthranna trat an ihn heran. »Ich freue mich, dass es so gekommen ist. Aber sei nur nicht zu weich. Gaidaron wird dir das nie vergessen, und Borrak kennt auch keine Dankbarkeit.«
Rastafan lächelte. »Ich hingegen schon. Ich habe viel falsch gemacht. Das Volk von Jawendor soll erfahren, dass ich mannhaft und gerecht zu herrschen weiß. Bin ich König, so will ich ein vortrefflicher König sein. Diesem Razoreth werde ich niemals gestatten, mein Gebieter zu werden.«
»Das habe ich heute gespürt«, sagte Anamarna, der sich dazugesellt hatte. »Aber Saric hat es vor mir gewusst.«
»Ja«, erwiderte Rastafan ernst. »Er hat mir vergeben, was ich mir selbst niemals vergeben kann.«
8
Die Nachricht von der Ermordung Dorons hatte Narmora erreicht. Sie schien auf dem Rücken des Windes geritten zu sein. Jaryn und Caelian hörten die Leute von nichts anderem reden. Gerüchte und Vermutungen umsurrten sie wie Mückenschwärme. Für einen
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