Lacunars Fluch, Teil 3: Wüstensöhne
seinen Hals hing die goldene Kette, die seinen Rang unterstrich.
Als er keuchend und schwitzend von dem langen Weg durch die Palastflure eintrat, sah er sich sogleich nach einer Sitzgelegenheit um, aber da Rastafan ihn stehend empfing, wagte auch Lamandrion es nicht, sich zu setzen, obwohl ganz in der Nähe ein bequemer Sessel dazu einlud.
»Ihr seid der Bewahrer?«, ergriff Rastafan ohne jede Förmlichkeit gleich das Wort. »Erklärt mir doch, was Eures Amtes ist.«
Lamandrion holte tief Luft. Damit hatte er nicht gerechnet. »Ich bin zuständig für den reibungslosen Ablauf aller Vorgänge im Palast«, erwiderte er spitz.
»Die Regeln dafür wurden doch sicher schriftlich niedergelegt?«
»So ist es, Erhabener.«
Rastafan hielt es nicht für nötig, Lamandrion ebenfalls auf die geänderte Anrede hinzuweisen. »Und diese Regeln sind allen Palastangehörigen geläufig?«
»Das ist Voraussetzung.«
»Dann frage ich mich, was Ihr den ganzen Tag über zu tun habt?«
»Ich – äh …« Lamandrion erkannte, dass das Gespräch einen unguten Verlauf nehmen würde. »Ich sorge dafür, dass die Regeln eingehalten werden.«
»Da ist mir schon klar.« Rastafan hatte die Arme auf dem Rücken verschränkt, sein rechter Fuß ruhte entspannt auf einem Fußschemel. »Doch auf welche Weise geschieht das? Lauft Ihr durch den Palast und achtet darauf, ob sich jemand danebenbenimmt?«
Lamandrion hätte beinahe aufgelacht, aber danach war ihm nicht zumute. »Dafür habe ich natürlich meine Leute. Wenn sie einen Vorfall bemerken, benachrichtigen sie mich.«
»Was könnte das für ein Vorfall sein?«
»Ich bitte um Nachsicht. Da fällt mir keiner ein. Ich erfinde aber auch neue Regeln, wenn ich sie für nötig halte.«
»Tüchtig. Dann seid Ihr auch für die Existenz des Göttlichen Pfades verantwortlich?«
Lamandrion errötete. »Für den Pfad zum göttlichen Licht? Nein, der Pfad besteht schon lange. Aber auf meine Tatkraft geht es zurück, dass jeder, der vorübergeht, dem Herrscher seine Ehrerbietung erweisen muss.«
»Und das vor jedem Standbild«, erwiderte Rastafan todernst.
»So ist es«, nickte Lamandrion stolz. »Vor jedem Standbild.«
»Und ein Übertreten der Regeln kommt sehr selten vor?«
»So könnte man es sagen, Erhabener. Schließlich führe ich ein strenges Regiment.«
»Daran zweifele ich nicht. Könnte man also sagen, die Regeln sind den Palastangehörigen in Fleisch und Blut übergegangen?«
»Sozusagen, ja.«
»Das heißt, wenn tatsächlich eine Regel gebrochen wird – wie ich annehmen muss, ein- oder zweimal im Jahr –, dann würde es genügen, wenn ein rangniederer Beamter das nebenbei erledigt, oder sehe ich das falsch?«
Lamandrion brach der Schweiß aus. »Aber das – nein, das ist völlig unmöglich. Die Disziplin, der reibungslose Ablauf aller Vorgänge, alles würde zusammenbrechen.«
»Ihr widersprecht Euch da gerade, merkt Ihr das?«
»Es ist eine hoheitliche Aufgabe, sie wurde stets von einem Minister wahrgenommen!«, stieß Lamandrion wutbebend hervor.
»Ich kann den Grund dafür aber nicht erkennen«, erwiderte Rastafan ruhig. »Ich kann nicht verstehen, dass ein Mann, der im Grunde überhaupt nichts tut, eine ministeriale Vergütung erhalten sollte, die ihm erlaubt, an jedem Finger goldene Ringe zu tragen, und der vor lauter Langeweile von morgens bis abends frisst, bis ihm der Bauch platzt. Mit anderen Worten: Ich benötige in meinem Palast keine Schmarotzer. Ihr seid abgesetzt.«
»Das geht nicht!«, kreischte Lamandrion und fuchtelte mit seinen Armen hektisch in der Luft herum. »Es ist mein Recht und das meiner …«
»Schweig!« Rastafan gab dem an der Tür stehenden Wächter einen Wink. »Führe diesen Mann hinaus, bevor ich mich vergesse.« Dann wandte er sich wieder an Lamandrion, dem der Angstschweiß von der glänzenden Stirn tropfte. »Solltest du den Palast nicht bis morgen früh verlassen haben, betrachte ich das als Befehlsverweigerung und lasse dich in den Jammerturm werfen.«
Der Wächter packte den erstarrten Lamandrion grob am Arm.
»Bis auf einen Ring lässt du sämtlichen Schmuck und die Amtstrachten im Palast zurück. Du hast sie dir nicht verdient. Solltest du als untergeordneter Beamter weiterhin Dienst tun und deine wertvollen Erfahrungen dort einbringen wollen, dann darfst du dich für diesen Posten bewerben.«
Rastafan wandte sich ab und setzte sich an seinen Schreibtisch. Der Wächter schob einen fluchenden, geifernden Mann zur Tür
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