Lacunars Fluch, Teil 4: Rastafans Buße (German Edition)
wohl auf der Treppe gestolpert.
Als Caelian ihm ins Gesicht mit den weit aufgerissenen Augen leuchtete, sagte er: »Oh, hier haben wir ja einen alten Bekannten. Thorgan, unser Pferdeknecht.«
Jaryn betrachtete ihn. »Nein, er war unser Eselstreiber. Wo kommt der denn plötzlich her?«
Da sahen sie Kalisha die Treppe hinuntersteigen. Sie hatte keine Fackel gehabt und doch die Stufen mit schlafwandlerischer Sicherheit bewältigt. Sie hob Thorgans Fackel auf, die noch brannte, betrachtete ihn und sagte: »Was für ein Ruhebett. Es ist seiner würdig.« Dann lächelte sie und sagte: »Er ist euch nachgeschlichen, wahrscheinlich schon seit dem Teich. Aber ich habe ihn bemerkt, diesen plattfüßigen Sklaventreiber. Er wollte den Schatz für sich allein, deshalb hat er alle Leute nach Hause geschickt. Und ich schickte ihn zu seinen missratenen Ahnen.« Ihr Blick streifte flüchtig die Krüge. »Wahrlich, ein mächtiger Schatz, aber ich würde jetzt gern die Grabkammer sehen und die Sarkophage der alten Könige.«
Als sie hörte, was dort aller Wahrscheinlichkeit nach passiert war, sagte sie: »Die Stimmen lügen nicht. Sie sagten, der Tod wartet in Zarador. Aber sie verrieten mir nicht, auf wen er gewartet hat.« Sie legte Caelian eine Hand auf die Schulter. »Es tut mir leid für dich, aber dein Vater und Radomas waren verblendete Männer. Niemand hätte sie vor diesem Schicksal bewahren können, das stets im Gefolge solcher Menschen wandelt. Nun genießen sie die Ehre, auf alle Zeiten neben den großen Königen der Vorzeit zu liegen.«
Caelian nickte stumm. »Was nun?«, fragte er. »Sollen wir ihn begraben?« Er wies auf Thorgan.
Jaryn schüttelte den Kopf. »Mag er auf dem Krug verfaulen. Wer will ihn schon die vielen Stufen hochschleppen? Ich nicht.«
Kalisha nickte. »Tote merken nichts mehr. Bald wird nur noch ein Skelett die Krüge bewachen. Möge er in einem anderen Leben als ein besserer Mensch geboren werden.«
22
Von den Ereignissen in Achlad war noch nichts an den Hof von Margan gedrungen. Was sich in Zarador abgespielt hatte, einer Stadt, von der man nicht einmal wusste, dass sie existiert, das eignete sich bestenfalls für Geschichten, die man den Kindern vor dem Einschlafen erzählte. Auch aus Araboor, der versteckten Felsenzuflucht, gab es keine Nachrichten, denn zwischen dem Fürsten von Achlad und Margan hatte immer nur Feindschaft bestanden, und außer Rastafan, der nun einmal Lacunars Neffe war, hatte auch niemand jemals versucht, Beziehungen zu diesem Land zu knüpfen.
Rastafan hatte auf seinen Brief an Lacunar, in dem er sich nach Jaryn erkundigte, keine Antwort erhalten. Er bedauerte das, aber er machte sich auch keine Gedanken. Lacunar war oft unterwegs – und hatte er nicht erwähnt, dass er einem Schatz nachjage? Da war er wohl sehr beschäftigt.
Rastafan hatte genug zu tun, um mit den täglichen Anforderungen fertig zu werden. Oft fragte er sich, wie es Doron möglich gewesen war, untätig zu bleiben. Zum Glück hatte er einen weiteren tüchtigen Mitarbeiter gewonnen: Gaidaron. So sehr ihm dieser auch wie ein ständiger Stachel im Fleisch war, so hatte er doch bis jetzt eine tadellose Arbeit abgeliefert. Nicht nur die Formulierungen der Gesetze gelangen ihm einwandfrei, er machte auch selbst kluge Vorschläge, die insgesamt Rastafans Zustimmung fanden. Wie ein Chamäleon hatte Gaidaron Jaryns Vorstellungen übernommen und sie weiter ausgearbeitet.
Jedes Mal, wenn sie zusammensaßen, um die Schrift zu erörtern, musste Rastafan Gaidaron sein Lob aussprechen, obwohl er wusste, dass dieser nur seine Fahne nach dem Wind hängte. Was er da ablieferte, war nicht seine Überzeugung, ganz im Gegenteil. Er wusste genau, was Rastafan lesen wollte, und das gab er ihm. Rastafan war sich darüber im Klaren, aber solange Gaidaron eine vorzügliche Arbeit leistete, sah er darüber hinweg. Das Ergebnis zählte.
Rastafans Lob und natürlich der unvermeidliche Beischlaf nach jeder Sitzung brachten Gaidaron nach und nach seine alte Lebensfreude, aber auch seine Überheblichkeit zurück. Rastafan gegenüber zeigte er sich als guter Freund, doch im Mondtempel hatte er das Sagen, und das bekamen in erster Linie seine Untergebenen zu spüren: Diener, Sklaven und Mondpriester niederen Ranges. In seiner tiefsitzenden Überzeugung, dass das Leben ihm noch etwas schuldig sei, machte er seinem Groll bei den Schwachen Luft. Viele wünschten sich da Suthranna zurück, und Rastafan, dem diese Klagen zu Ohren
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