Lady Almina und das wahre Downton Abbey: Das Vermächtnis von Highclere Castle (German Edition)
hatten, beigebracht hatte, wie sie die einfacheren Eingriffe selbst durchführen konnten. Der nächste hoch angesehene Arzt, den Almina für ihr Krankenhaus gewann, war Hector Mackenzie. Er war anerkannter Spezialist der Thoraxchirurgie, und obwohl er sein Bestes gab, verstarb ein Mann namens Thompson, nachdem er ihn operiert hatte. Als klar war, dass der Patient sich nicht mehr erholen würde, schickte Almina ein Telegramm an dessen Tochter und lud sie ein, nach Highclere zu kommen. Agnes Thompson schrieb später an Almina: »Meine wenigen Tage in Highclere werde ich nie vergessen, und für die überaus freundliche Behandlung und Fürsorge, die Daddy bis zu seinem Tod durch Sie erfahren hat, bin ich Ihnen für immer dankbar. Ich hoffe, es geht Ihnen besser … Sie sahen sehr schlecht aus.«
1914 verbrachte die Familie Weihnachten in Highclere. Almina tat ihr Bestes, um das Haus zu schmücken und allen ein besonderes Fest zu bereiten. Wie üblich stand im Salon ein riesiger Christbaum, auf den Tischen waren wunderschöne Winterblumen und Girlanden aus immergrünen Zweigen verteilt. Im Gästebuch ist dokumentiert, dass das Schloss mit verwundeten Soldaten und einigen engen Freunden brechend voll war. Wer dazu in der Lage war, das Haus zu verlassen, nahm zusammen mit dem gesamten Haushalt – von den Krankenschwestern, die keinen Urlaub nahmen, bis zu den Hausmädchen und allen anderen Angestellten – am Gottesdienst in der Dorfkirche teil. Das Küchenpersonal war tagelang damit beschäftigt gewesen, ein Festmahl vorzubereiten. Lord Carnarvons Sorgen bezüglich der ausreichenden Versorgung des Schlosses mit Lebensmitteln waren immer größer geworden, doch an diesem Tag war Sparsamkeit nicht angebracht. Streatfield und die ihm unterstellten Diener servierten den Patienten in der Bibliothek Suppe, gefolgt von Gänsebraten und Plumpudding. Nach dem Festschmaus gesellten sich Lord und Lady Carnarvon auf einen Brandy am Kamin zu den Patienten.
Zur selben Zeit ereignete sich draußen an der Westfront eine Begebenheit, die im Nachhinein fast zum Mythos wurde. Es begann damit, dass deutsche und britische Soldaten sich über das Niemandsland hinweg »Frohe Weihnachten« zuriefen. Zögernd und ungläubig handelten die Männer für diesen Tag einen inoffiziellen Waffenstillstand aus. Von beiden Seiten stiegen unbewaffnete Soldaten aus ihren Schützengräben, um ihre Toten zu bergen, und als sie sich auf dem Morast aus Blut und Lehm, der zwischen ihren Stellungen lag, begegneten, gaben sie einander die Hand und vereinbarten, ihre gefallenen Kameraden gemeinsam zu bestatten. Jemand schlug ein Fußballspiel vor. Proviant wurde hervorgeholt und ausgetauscht: Sauerkraut und Würstchen gegen Schokolade. In jener Nacht, in der die Männer in Highclere ihrem Schicksal dafür dankten, dass sie nach Brandy und Plumpudding gut gesättigt in ihren warmen Betten lagen, wurde in den Schützengräben auf Deutsch und Englisch »Stille Nacht, heilige Nacht« gesungen. Knapp 24 Stunden lang herrschte an der Westfront Frieden.
Es war eine kurze Erholungspause. Nach der ersten Flandernschlacht, die von Oktober bis November angedauert hatte, rang das britische Expeditionskorps angesichts der hohen Anzahl an Gefallenen, die die Moral der Soldaten untergrub, um eine neue Strategie. Noch war nicht abzusehen, dass im folgenden Jahr, 1915, die Zahl der Toten noch einmal dramatisch steigen würde.
In Highclere lud Lord Carnarvon einige Freunde, darunter den treuen Victor Duleep Singh, ein, die Woche zwischen Weihnachten und Neujahr auf dem Anwesen zu verbringen. Im Gästebuch findet sich eine in zittriger Handschrift eingetragene niedergeschlagene Äußerung: »Sehen dem neuen Jahr in diesem schrecklichen Krieg voller Trauer und Sorge entgegen.«
Im Januar bereitete man sich in Highclere auf die Ankunft weiterer Patienten vor. Die meisten der 20 eingelieferten Soldaten gehörten der 9th Bopal Infantry und den 8th Gurkha Rifles an, doch es gab auch Ausnahmen. In einem Brief an Winifred erzählte Lord Carnarvon die Geschichte eines Patienten, eines Marinesoldaten namens S. W. Saxton, der in der ersten Januarwoche eingetroffen war. Der Mann hatte eine erstaunliche Rettung erlebt. Er hatte auf der HMS Formidable , gedient, die am Neujahrstag zu einer militärischen Übung ausgelaufen und von einem deutschen U-Boot torpediert worden war. Als die Formidable sank, klammerte sich Saxton trotz seiner Verletzungen, des hohen Wellengangs und des starken
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