Lady Almina und das wahre Downton Abbey: Das Vermächtnis von Highclere Castle (German Edition)
Bruder Dick, ein Künstler und junger Mann von zarter Statur, der fast jeden Winter an Lungenentzündung litt, als Freiwilliger bei der Armee und wurde den Scots Guards zugeteilt. Dann trafen schlechte Nachrichten ein, die das unmittelbare Umfeld der Carnarvons betrafen. Zwei der in Highclere angestellten Burschen, Harry Garrett und Harry Illot, waren bei ihren jeweiligen Einsätzen in Indien und in Frankreich gefallen. Sie hatten beide unter Augustus Blake, der etwa 1908 Pope abgelöst hatte, als Gärtner gearbeitet, und Illots Familie gehörte bereits seit 20 Jahren zur Belegschaft des Anwesens.
Die Verluste waren hoch, viel höher, als die Kriegsstrategen es jemals für möglich gehalten hätten. Dabei konnte auch Almina bestätigen, dass es sich bei den Verwundeten und Toten häufig um erfahrene Soldaten handelte. Die Elite der alliierten Streitkräfte kehrte invalid oder im Sarg nach Hause zurück.
Almina scheint dem Grauen in der für sie charakteristischen Weise entgegengetreten zu sein: Sie setzte ihr Geld, ihre Entschlossenheit und ihre Kontakte ein, um noch mehr für die Opfer zu erreichen. Sie entschied, dass in Highclere noch größere Fachkenntnis vonnöten war, und so behandelte ab Mitte Oktober Robert Jones in dem zum Operationssaal umfunktionierten Zimmer Arundel eine Reihe von Männern mit Knochenbrüchen.
Jones, der später für seine Verdienste zum Ritter geschlagen wurde, war zu jener Zeit bereits ein erfahrener orthopädischer Chirurg. Er hatte sich in den Jahren, in denen er beim Bau des Manchester Ship Canal als medizinischer Leiter gearbeitet hatte, umfassende Kenntnisse in der Behandlung von Frakturen angeeignet. Er hatte den ersten umfassenden Notdienst der Welt eingeführt und an der gesamten Länge des Kanals Unfallstationen eingerichtet. Dadurch war er daran gewöhnt, unter schwierigen Bedingungen viele Patienten zu behandeln. Im Vergleich zu den Notdienststationen, in denen er die Kanalarbeiter versorgte, müssen ihm die Damastvorhänge und Teppiche im Raum Arundel eine surreale Kulisse geboten haben. Jones war 57 Jahre alt und erachtete es als seine Pflicht, an der Heimatfront seinen Beitrag zu leisten, zumal viele seiner jüngeren Kollegen in Feldlazaretten mit Bedingungen kämpften, die die Arbeit in einer Unfallstation am Manchester Ship Canal als Sonntagsspaziergang durch den Park von Highclere Castle erscheinen ließen.
Nahezu zwei Drittel der im Ersten Weltkrieg Verwundeten (das heißt diejenigen, die lange genug überlebten, um in ein Krankenhaus zu gelangen) litten unter durch Granatsplitter oder Gewehrkugeln ausgelösten Verletzungen der Knochen. Folglich hatten orthopädische Chirurgen alle Hände voll zu tun. (Da Bauchschüsse dagegen als zu kompliziert für eine Behandlung galten, wurde lediglich Morphium verabreicht, und anders als Aubrey starben die meisten Betroffenen.) Jones war fest davon überzeugt, dass durch das Anlegen der von seinem Onkel Hugh Owen Thomas entwickelten Thomasschiene die Sterblichkeitsrate der Verletzten von 80 auf 20 Prozent reduziert werden könne. Aus heutiger Sicht scheint es schwer vorstellbar, dass ein gebrochenes Bein zum Tod führen kann, doch in dieser Zeit des Ersten Weltkriegs war das oft der Fall. Der Oberschenkelknochen ist der längste Knochen des menschlichen Skeletts, und die ihn umgebenden Muskeln sind entsprechend stark. Wenn der Oberschenkelknochen bricht, ziehen sich die Muskeln zusammen und verursachen, indem sie die beiden Knochenenden aneinander vorbeiziehen, weitere Verletzungen, einen gefährlichen Blutverlust, Nervenschäden und starke Schmerzen. Jones’ wirkte diesem Prozess entgegen, indem durch Streckung die beiden Knochenenden in ihrer natürlichen Position fixiert blieben und wieder zusammenwachsen konnten. Diese Behandlungsmethode war äußerst erfolgreich und rettete in Highclere während der Kriegsjahre vielen Menschen das Leben. Die Patienten, die davon profitierten, waren so dankbar und sich der Not anderer so sehr bewusst, dass sie ihre Schienen, sobald sie sie nicht mehr benötigten, oft nach Highclere zurückschickten.
Almina und ihr Team hatten erst im Dezember ihren ersten Todesfall unter den ihnen anvertrauten Patienten zu beklagen. Dies spricht dafür, dass die Verantwortlichen in Southampton sehr klug darüber entschieden, wer für eine Behandlung in Highclere infrage kam. Robert Jones verließ das Anwesen, nachdem er Lady Carnarvon und Dr. Johnnie, die ihm bei zahlreichen Operationen assistiert
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