Lady Chatterley (German Edition)
nackt gewesen, sah sie auch jetzt, da er bekleidet war: einsam und versunken wie ein Tier, das allein lebt, doch auch grübelnd wie eine Seele, die weit, weit zurückweicht vor aller menschlichen Berührung. Schweigend, geduldig wich er sogar jetzt vor ihr zurück. Die Stille, die zeitlose Geduld in einem ungeduldigen und leidenschaftlichen Mann – sie rührten Connie tief an. Sie sah es an seinem gesenkten Kopf, den geschickten, ruhigen Händen, dem Kauern seiner schmalen, sensiblen Hüften – etwas Geduldiges und Fernes. Sie fühlte, seine Erfahrung reichte tiefer und weiter als die ihre; war viel tiefer und weiter und vielleicht tödlicher. Und das befreite sie von sich selbst; fast fühlte sie sich frei von Verantwortung.
So saß sie unter der Tür der Hütte – traumbefangen, ohne Gefühl für Zeit und Umgebung. Sie war so versunken, daß er zu ihr hinsah; und er sah den vollkommen stillen, wartenden Ausdruck ihres Gesichts. Für ihn jedenfalls war es ein Ausdruck des Wartens. Und eine kleine Flamme züngelte jäh seine Lenden und die Wurzel seines Rückens hinauf, und er stöhnte innerlich. Mit tödlichem Grauen fürchtete er jede nahe menschliche Berührung. Mehr als alles wünschte er, sie möge gehen und ihn seiner Abgeschlossenheit überlassen. Er fürchtete ihren Willen, ihren weiblichen Willen und ihre moderne weibliche Beharrlichkeit. Und noch mehr als alles fürchtete er ihre kühle, hochgeborene Unverfrorenheit, den eigenen Willen durchzusetzen. Denn er war schließlich nur ein Bediensteter. Er haßte ihre Anwesenheit hier.
Plötzlich verlegen, fand Connie wieder zu sich zurück. Sie erhob sich. Der Nachmittag glitt in den Abend hinüber, doch sie konnte nicht aufbrechen. Sie ging zu dem Mann, der sich zu dienstlicher Haltung straffte; sein müdes Gesicht war starr und ausdruckslos, seine Augen beobachteten sie.
«Es ist so schön hier, so friedlich», sagte sie. «Ich bin noch nie hier gewesen.»
«Nein?»
«Ich möchte gern manchmal herkommen und hier sitzen.»
«Ja!»
«Schließen Sie die Hütte ab, wenn Sie nicht hier sind?»
«Ja, Euer Gnaden.»
«Glauben Sie, daß ich auch einen Schlüssel haben kann, damit ich mich manchmal hier aufhalten kann? Gibt es zwei Schlüssel?»
«Ich wüßte nicht, daß noch einer da ist.»
Er war in den Dialekt gefallen. Connie zögerte; er setzte ihr Widerstand entgegen. War es am Ende seine Hütte?
«Könnten wir nicht einen zweiten Schlüssel bekommen?» fragte sie mit ihrer weichen Stimme, im Unterton einer Frau, die entschlossen ist, ihren Willen durchzusetzen.
«Noch einen!» sagte er und streifte sie mit einem schnellen, zornigen, spöttisch gefärbten Blick.
«Ja, einen zweiten», sagte sie und errötete.
«Möglich, daß Sir Clifford was davon weiß», erwiderte er und wollte sie damit abspeisen.
«Ja», meinte sie, «er könnte einen zweiten haben. Wenn nicht, dann könnten wir einen anfertigen lassen nach dem, den Sie haben. Es würde nur einen Tag oder so dauern, nehme ich an. Sie könnten Ihren Schlüssel wohl so lange entbehren.»
«Ich kann’s Ihnen nicht sagen, Mylady. Ich wüßte niemand hier in der Gegend, der Schlüssel macht.»
Connie wurde plötzlich rot vor Ärger.
«Also gut», sagte sie, «dann werde ich mich darum kümmern.»
«Wie Sie wünschen, Euer Gnaden.»
Ihre Augen begegneten sich. Aus den seinen sprach kalte, häßliche Abneigung und Verachtung und Gleichgültigkeit allem gegenüber, was geschehen würde. Die ihren waren heiß von der Niederlage.
Aber ihr Herz sank, als sie erkannte, wie sehr sie ihm zuwider war, wenn sie sich ihm entgegenstellte. Und sie sah ihn in einer Art Verzweiflung.
«Guten Abend.»
«’n Abend, Mylady.» Er grüßte und wandte sich brüsk um. Sie hatte die schlafende Meute alten, gierigen Zornes geweckt, des Zornes gegen das eigensinnige Weib. Und er war machtlos, machtlos. Er wußte es.
Und sie war zornig über den eigensinnigen Mann. Ein Bediensteter obendrein! Verdrossen ging sie nach Hause.
Unter der hohen Buche auf dem Hügel stieß sie auf Mrs. Bolton, die nach ihr Ausschau hielt.
«Ich fragte mich gerade, ob Sie jetzt wohl kommen würden, Mylady», rief sie lebhaft.
«Habe ich mich verspätet?» fragte Connie.
«Oh … Sir Clifford wartete nur auf seinen Tee.»
«Warum haben Sie ihn denn nicht gemacht?»
«Oh, ich glaube nicht, daß mir das zusteht. Ich glaube nicht, daß Sir Clifford das gern hätte, Mylady.»
«Ich sehe nicht ein, warum nicht», sagte
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