Lady Chatterley (German Edition)
hervorragender Chemiker erwiesen hatte.
Und er triumphierte. Er war endlich aus sich selbst herausgegangen. Er hatte seine lebenslange, geheime Sehnsucht erfüllt, aus sich selbst herauszukommen. Die Kunst hatte es nicht geschafft. Die Kunst hatte alles nur noch schlimmer gemacht. Aber jetzt war es ihm gelungen.
Er war sich nicht bewußt, wie sehr Mrs. Bolton ihre Hand im Spiel hatte. Er wußte nicht, wie sehr er von ihr abhing. Aber dennoch war deutlich, daß seine Stimme einen legeren, vertraulichen Tonfall annahm, fast eine Spur gewöhnlich wurde, wenn er mit ihr zusammen war.
Connie gegenüber verhielt er sich ein wenig steif. Er fühlte, daß er ihr alles schuldete, alles, und er erwies ihr höchste Achtung und Rücksicht, solange sie ihm zumindest äußere Achtung bezeigte. Aber es war offenkundig, daß er sich im geheimen vor ihr fürchtete. Der neue Achilles in ihm hatte eine verwundbare Ferse, an der ihn eine Frau wie Connie, seine Frau, tödlich treffen konnte. Er lebte in einer bestimmten, halb unterwürfigen Furcht vor ihr und benahm sich ihr gegenüber so nett er nur konnte. Aber in seiner Stimme spannte sich etwas, wenn er mit ihr sprach, und er fing an, schweigsam zu werden, wenn sie da war.
Nur wenn er allein mit Mrs. Bolton war, kam er sich wirklich wie ein Herr und Meister vor, und seine Stimme plätscherte fast so unbekümmert und geschwätzig dahin wie die ihre. Und er ließ sich von ihr rasieren und sich am ganzen Körper waschen, als sei er ein Kind, wirklich, als sei er ein Kind.
ZEHNTES KAPITEL
Connie war sehr viel allein jetzt, es kamen nicht mehr so viele Leute nach Wragby. Clifford brauchte sie nicht mehr. Er hatte sogar den Kumpanen den Rücken gekehrt. Es war merkwürdig. Er zog das Radio vor, das er mit einigen Aufwendungen hatte anschließen lassen, aber letzten Endes auch mit beträchtlichem Erfolg. Manchmal konnte er Frankfurt oder Madrid bekommen, sogar hier, in den unruhigen Midlands.
Und er konnte stundenlang allein vor dem brüllenden Lautsprecher sitzen. Connie war starr vor Staunen. Aber da saß er, mit leerem, entrücktem Ausdruck, wie ein Mensch, der den Verstand verliert, und hörte diesem unmöglichen Ding zu oder schien es doch zu tun.
Hörte er wirklich zu? Oder nahm er es als eine Art Narkotikum, während untergründig etwas anderes in ihm vorging? Connie wußte es nicht. Sie floh in ihr Zimmer hinauf oder hinaus in den Wald. Zuweilen war sie von einem Entsetzen erfüllt, von einem Entsetzen vor dem beginnenden Wahnsinn der ganzen zivilisierten Menschheit.
Aber nun, da Clifford in diese ihr unheimliche Welt der industriellen Betätigung trieb, fast eine Kreatur mit einem harten, kräftigen Panzer außen und einem gallertartigen Innern wurde, ein Artgenosse der erstaunlichen Krabben und Hummern der modernen Industrie- und Finanzwelt – wirbelloser Kreaturen aus der Gattung der Krustentiere, mit Schalen aus Stahl, wie Maschinen, und einem inneren Kern aus weichem Fleisch –, war Connie selber gestrandet.
Sie war nicht einmal frei, denn Clifford mußte sie um sich haben – nervös schien er zu fürchten, daß sie ihn verlassen könnte. Der seltsame, gallertartige Teil, der emotionale und menschlich-individuelle Teil in ihm, war angstvoll abhängig von ihr, wie ein Kind, nahezu wie ein Schwachsinniger. Sie mußte da sein, auf Wragby, mußte Lady Chatterley sein, seine Frau. Sonst würde er verloren sein wie ein Geistesschwacher in einem Moor.
Connie wurde sich dieser ungewöhnlichen Abhängigkeit voller Entsetzen bewußt. Sie hörte ihn mit seinen Grubendirektoren sprechen, mit den Mitgliedern seines Verwaltungsrates, mit jungen Wissenschaftlern, und sie staunte über seinen scharfsichtigen Einblick in die Dinge, über seine Macht, seine unheimliche materielle Macht über Menschen, die man Männer der Praxis nannte. Er war selber ein Mann der Praxis geworden, ein verblüffend scharfsinniger und mächtiger, ein Meister. Connie schrieb das Mrs. Boltons Einfluß zu, der gerade in der Krise seines Lebens auf ihn eingewirkt hatte.
Aber dieser gewitzte Mann der Praxis war nahezu schwachsinnig, wenn er seinem Gefühlsleben überlassen war. Er betete Connie an, sie war seine Frau, ein höheres Wesen, und er betete sie an, vergötterte sie auf eine merkwürdige, feige Art, wie ein Wilder – eine Vergötterung, die sich auf ungeheure Furcht gründete und sogar auf Haß gegen die Macht des Idols, des furchterregenden Idols. Er wollte nichts, als daß Connie ihm
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