Lady Ghoul
Mündungen im Rücken. Manchmal so stark, daß es schmerzte.
»Das kann ich nicht!«
Sie lachte mir ins Gesicht. »Wie — das kannst du nicht? Du brauchst ihn nur über den gemauerten Rand zu schleudern. Er fällt schon von allein, das verspreche ich dir.«
»Ich werde nicht zum Mörder!«
»Tatsächlich?«
»Ja.«
»Willst du erschossen werden? Sollen dich meine Schwestern mit Kugeln vollpumpen?«
Ich ballte meine linke Hand, die ich frei hatte, zur Faust. Dann bewegte ich mich nach rechts und ließ Ernie von meiner Schulter gleiten. Bevor er zu Boden schlagen konnte, fing ich ihn ab, so daß er einen weichen Kontakt bekam.
»Was soll das?«
»Ich werde meinen Begleiter nicht in den Brunnen werfen. Es wäre Mord!«
Agatha verengte die Augen ein wenig, so daß sie aussahen wie rote Sicheln. »Das würdest du wirklich tun?«
»Ja!«
»Dann werden wir dich erschießen!«
»Bitte!«
Agatha gab ihren Schwestern einen Wink. Einige von ihnen traten zurück, aber drei Mündungen blieben praktisch an meinem Rücken kleben.
»Karen!«
»Ich habe verstanden«, antwortete die Jüngste unter ihnen flüsternd und bewegte den Gewehrlauf. Es war genau festzustellen, wo die Mündung hochwanderte. Sie erreichte meinen Hals und blieb dort.
»Du wirst ihn mit einem Schuß ins Genick erledigen«, erklärte Agatha kalt. Danach werden wir seine Leiche in den Brunnen werfen. Schade, es hätte anders laufen können.
»Wie denn?«
»Das spielt jetzt keine Rolle mehr für dich«, erklärte sie mir. »So, Karen, bist du fertig!«
»Ja!«
»Dann schieß!«
***
Schon oft hatte ich Sekunden verspürt, die ich zu den schlimmsten in meinem Leben zählte. Doch diese hier übertraf möglicherweise alles, weil die Gefahr so real war, so nahe, so faßbar und nicht einmal von einem dämonischen Wesen ausging.
Ich schwitzte Blut und Wasser. Der Schweiß hatte sich auch in meinem Nacken gesammelt und rann am Rücken herab.
Es nutzte mir kein Kreuz etwas, kein Bumerang, selbst die Beretta nicht. Ich kam einfach an meine Waffen nicht heran. Und Suko war unterwegs, um den Übersetzer zu spielen.
Seltsam, welche Gedanken ich hatte, während mir die Knie weich wurden und ich mich am liebsten hingelegt und eingegraben hätte. Diese Angst war erdrük kend. Sie überschattete einfach alles andere und ließ selbst das Atmen zur Qual werden.
»Was ist, Karen, weshalb schießt du nicht?«
Auch das Mädchen litt. Sein Atem streifte meinen Nacken. Dann hörte ich Karens Stimme. »Ich… ich kann nicht. Ich… kann wirklich nicht. Bitte…«
»Was?«
»Agatha, ich kann ihn nicht erschießen. Ich… ich bringe es einfach nicht fertig.«
Schnaufend holte Agatha Luft. »Ja bist du denn des Wahnsinns? Du kannst nicht abdrücken?«
»Nein!«
»Verflucht!« schrie sie. »Dann soll es eine andere machen oder auch zwei. Los, geh zurück! Wir werden noch darüber reden, dann wird es bitter für dich werden.«
Ich hatte eine Galgenfrist bekommen. »Sei froh«, sprach ich die Frau an.
»Sei froh, daß es auch unter euch noch Menschen gibt, die so denken und nicht einfach morden wollen.«
»Celeste wird sich dafür rächen.« Agatha winkte wütend ab. »Los, und jetzt legt ihn um!«
»Wir haben keine Skrupel!« vernahm ich eine mir fremd klingende Stimme. »Wir nicht.«
»Schießt direkt doppelt. Wir gehen auf Nummer Sicher. Zwei Kugeln ins Genick und…«
»Halt!«
Wir alle hörten die Stimme, auch wenn das Wort nur schwach gesprochen war.
Gemeldet hatte sich Ernie Balsam. Er lag noch neben der aus rohen Steinen zusammengehämmerten Brunnenmauerund hob nun unter mühsamen Anstrengungen den Kopf.
»Was willst du?«
»Was soll ich denn tun?« fragte er dagegen.
»In den Brunnen springen!«
»Und dann? Werdet ihr ihn dann nicht erschießen?«
»Nein!«
»Glaub ihr nicht, Ernie!«
Aber Balsam hatte sich bereits entschlossen und zog sich am Rand des Brunnens schwerfällig in die Höhe. Er sah völlig erschöpft aus, konnte sich trotz Stütze nicht auf den Beinen halten und schwankte von einer Seite auf die andere.
Er schaute mich an.
Ich erwiderte seinen Blick.
Verdammt, der ging mir durch und durch. Es war ein Blick des Abschieds, eine Geste der Trennung, und er riß sich noch einmal zusammen, als er sich an Agatha wandte. »Wo werde ich hinkommen?«
»Hast du sie nicht immer sehen wollen?«
»Nein, ich kenne sie…«
»Aber du wirst zu ihr kommen. Sie wird sich mit dir beschäftigen. Der Brunnen, dieser Schacht, ist einfach der
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