Lady Helenes skandaloeser Plan
weiß nicht mehr, wann du so heilig geworden bist, aber wenn du meinst, dass es im Alter von zehn geschah, so magst du von mir aus recht haben.«
Tom schüttelte nur den Kopf. »Ich bin mit zweiundzwanzig zum Priester geweiht worden, Rees. Zehn war ich, als Vater meine Existenz zum ersten Mal wahrnahm.«
»Nun, mir wäre es jedenfalls lieber, wenn du abreisen würdest«, erklärte Rees kategorisch. »Auch wenn ich dein brüderliches Mitgefühl rührend finde, könnte es mit Helene im Haus kompliziert werden. Ich würde den Pfad der Tugend lieber beschreiten, ohne dass mein kleiner Prediger-Bruder seine Nase in alles steckt.«
Tom verspürte ein leichtes Brennen in der Brust und zählte langsam bis sieben. »Ich habe dein Leben nie infrage gestellt. Wenn du Vorwürfe zu hören meinst, so kommen sie von Vater und nicht von mir. Und er ist
tot
, Rees. Du könntest allmählich aufhören, ihn herauszufordern. Er kann doch nicht wissen, dass in Mutters Gemach eine Opernsängerin haust.«
Eisiges Schweigen senkte sich auf sie. Dann warf Rees den Kopf zurück und lachte bellend. »Ich beneide dich um dein schlichtes Weltbild, Tom. Ich denke nie mehr an den Alten. Lina lebt in meinem Haus, weil ich es so haben will. Und sie schläft in Mutters Zimmer, weil es so für mich am praktischsten ist.«
Tom schnaubte verächtlich. »Sie lebt hier, weil du immer noch versuchst, Vater zu ärgern, weil du immer noch willst, dass er dich beachtet. Aber der Mann ist tot!«
»Ich mag Lina«, sagte Rees leise, ließ sich ihren Namen wie eine köstliche Praline auf der Zunge zergehen. »Du hast sie also schon gesehen. Und was hältst
du
von ihr, kleiner Bruder? Ist sie nicht ein köstliches Weibsstück?«
»Willst du sie morgen etwa vor die Tür setzen, um Platz für Helene zu schaffen?«, fragte Tom, ohne einen gewissen Tadel aus seiner Stimme bannen zu können.
»So geht es eben auf der Welt zu.« Rees zuckte die Achseln.
»Wohin soll sie denn gehen?«
»Ein Wüstling wie ich macht sich doch um solche Kleinigkeiten keinen Kopf! Wahrscheinlich auf die Straße, Bruder. Mit ein wenig Glück kannst du sie in eines jener Heime für missratene Weiber bringen.«
»Deine Versuche, mich zu ködern, erinnern schmerzlich daran, wie viel Vater dir bedeutete«, bemerkte Tom.
Rees kniff seine Augen zusammen. »Dann sag mir doch, wie ein Kirchenmann darüber denkt? Was tut man mit einer abgelegten Geliebten? Oh, warte mal! Ich hätte natürlich gar nicht erst Ehebruch begehen dürfen! Wie konnte ich nur diese unbedeutende Kleinigkeit vergessen?!«
Tom wandte sich zur Tür. »Ich kann mir vorstellen, dass du ganz genau weißt, wohin deine Lina geht, wenn du sie hinauswirfst. Ich wüsste nicht, was wir darüber zu streiten hätten.« Er rang um seine Beherrschung – und verlor. »Ich weiß nicht, wie du noch in den Spiegel sehen kannst, nachdem du ein Mädchen derart verdorben hast.«
»Ich tue eben mein Bestes, um meinem Ruf in der Familie gerecht zu werden. Wie du ja auch. Warum hast du nicht diesen höllischen Kragen abgenommen, bevor du in unser großes Sündenbabel gekommen bist?«
»Ich bin nun einmal Vikar«, entgegnete Tom achselzuckend.
»Wenn du ihn abnimmst, würde dir keiner mehr zuhören, wenn du an Weihnachten deine Moralpredigten hältst, stimmt’s? Aber wir wollen deine Talente ja auf keinen Fall vergeuden.« Rees’ Blick hätte das Zimmer unter Feuer gesetzt, wäre dies physisch möglich gewesen. »Ich hab’s mir gerade anders überlegt, und das ist ganz allein dir zu verdanken, Bruder. Ich lasse das bedauernswerte, verdorbene Mädchen hier wohnen, obwohl Helene zurückkommt. Lina bleibt in Mutters Schlafzimmer, wo sie hingehört. Ich brauche sie ganz nahe bei mir, damit ich sie jeden Augenblick bespringen kann, weißt du?«
Tom blieb mit der Hand auf dem Türknauf stehen. Er konnte vor Zorn kaum sprechen. »Und Helene?«, stieß er hervor. »Deine Frau? Hattest du nicht gesagt, du wolltest einen
Erben zeugen
, Bruder?«
»Das werde ich auch«, sagte Rees leichthin. »Ich quartiere Helene im dritten Stock ein, wo auch die Kinderstube ist. Das ist ein hübsches Symbol für ihre Rolle in diesem Haus.«
Tom riss die Tür auf und verließ das Zimmer. Rees meint das nicht ernst, redete er sich zu. Er kann das gar nicht ernst meinen. Er will es nur nicht zugeben. Verflucht sei Vater! Und wenn Reverend Holland ein Wort wie »verflucht« gebrauchte, dann war es ihm wirklich ernst.
Tom gelangte trotz seiner Wut in den ersten
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